Europas Rechte sollen sich zu «Supergruppe» formen
So stark sind Salvini, Le Pen & Co

Rechtspopulisten und Rechtsextreme haben im EU-Parlament künftig mehr zu sagen. Doch damit sie Einfluss haben, müssen sie sich organisieren – daran arbeitet nicht nur Italiens Innenminister Matteo Salvini, sondern auch Steve Bannon.
Publiziert: 29.05.2019 um 12:08 Uhr
Fabienne Kinzelmann

Die EU-Wahl hat die Karten der Macht neu gemischt: Die Volksparteien müssen herbe Verluste verkraften, die Grünen dürfen sich über Zugewinne freuen – und die Rechten erzielten in vielen Ländern Traumergebnisse. Das freut vor allem Steve Bannon (65), Ex-Chefstratege von US-Präsident Donald Trump. Er tourte in den vergangenen Monaten fleissig durch Europa und griff Rechtsaussen-Parteien unter die Arme, wo es nur ging.

Das hat sich offenbar ausgezahlt. Im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP nannte Bannon die Wahl am Dienstag «historisch». Und verkündete: «Die Integrationsbewegung, um die es in der EU immer ging, ist tot.» Die rechtspopulistischen Parteien, die bei der Wahl Zugewinne erzielten, forderte er auf, eine «Supergruppe» zu bilden.

Genau daran arbeitet der italienische Innenminister Matteo Salvini (46). Er räumte mit seiner rechtspopulistischen Lega Nord ab, zieht gleich mit 28 Mandaten ins EU-Parlament ein. Bereits im April versammelte er mögliche Mitstreiter in Mailand. Gemeinsam mit Verbündeten wie AfD-Chef Jörg Meuthen (57) und Marine Le Pen (50), die mit ihrer rechtsextremen Rassemblement National (früher: Front National), arbeitet er an einem neuen, rechten Bündnis.

Matteo Salvinis rechtspopulistische Lega Nord zieht mit 28 Abgeordneten ins EU-Parlament.
Foto: AFP
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Was will Salvinis Rechtspopulisten-Allianz?

Salvini und seine Mitstreiter sehen sich als Vertreter des Volkes, die den Kampf gegen Brüssels vermeintlich korrupte «Eliten» aufnehmen. Beim Treffen in Mailand sagte er: «Wer den europäischen Traum begräbt, das sind die Bürokraten, die Gutmenschen und die Bankiers, die Europa jetzt regieren. Wir wollen, dass die Völker wieder die Regierung stellen.»

Wie viele Rechte sind im EU-Parlament?

BLICK hat die vorläufigen Wahlergebnisse analysiert. Rechtsextreme Parteien, zu denen Le Pens Front-National-Nachfolger RN zählt, haben 35 Sitze. Rechtspopulisten wie Salvini kommen im 751 Sitze starken Parlament auf mindestens 93 Sitze. Das klingt weniger, als es ist: Gemeinsam mit eher rechten EU-Skeptikern besonders aus Reihen der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), fraktionslosen Abgeordneten und Parteien, die erstmalig im EU-Parlament vertreten sind, stellen die Rechten gut ein Viertel der Abgeordneten. Dazu zählt auch beispielsweise die nationalkonservative irische DUP oder die kroatische Partei Živi zid (dt. «Lebende Wand»), die je einen Sitz gewonnen haben.

Bestimmen die Rechten künftig den EU-Kurs?

Jein. Für neue Gesetze brauchts im EU-Parlament eine Mehrheit. Die Rechten im Parlament könnten aber immer öfter das Zünglein an der Waage sein – und ein noch grösserer Block, wenn sie mit extremen linken Populisten und Euroskeptikern zusammenarbeiten. Ihre Gruppe ist kleiner, verfolgt aber eine ebenso problematische Agenda: Der französische Linkssozialist Jean-Luc Mélenchon (67) hat beispielsweise ebenfalls ein europäisches Bündnis geschmiedet und will die Europäischen Verträge auflösen und umformulieren. Mächtig werden die Rechten, wenn sie zusammenhalten.

Wie gespalten sind Europas Rechte?

Die Rechten im Parlament sind innerlich zerstritten. Die grösste ideologische Linie verläuft zwischen dem Anti-EU-Block, zu dem beispielsweise die Brexit-Partei gehört, und EU-skeptischen Parteien wie der polnischen PiS oder der ungarischen Fidesz, welche sich von der EU bevormundet fühlen, aber nicht austreten wollen. Einig sind sich Europas Rechte, wenn es um eine harten Kurs gegenüber Flüchtlingen und Migranten geht.

Wo sind die Rechten am stärksten?

In fünf Ländern sich rechtspopulistische Parteien die stärkste Kraft geworden: in Frankreich, Grossbritannien, Italien, Ungarn und Polen. Frankreich, Grossbritannien und Italien tragen mit am meisten zum Haushalt der Europäischen Union bei, Polen und Ungarn gehören zu den fünf grössten Profiteuren. Doch gerade in diesen beiden Ländern sind demokratiefeindliche und antieuropäische Kräfte zuletzt massiv gewachsen. 

Was passiert mit Polen und Ungarn?

In Polen hat die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die bislang zur EKR-Fraktion gehört, abgeräumt. Parteichef Jaroslaw Kaczynski (69) liegt seit Jahren mit der EU im Clinch. Die EU-Kommission geht seit 2016 wegen mehrerer Justizreformen gegen Polen vor. Sie wirft der nationalkonservativen Regierung in Warschau vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu beschneiden und die Gewaltenteilung zu untergraben. Inzwischen laufen drei Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land. 

Die ungarische Fidesz-Partei wurde wegen ihrer offenen Anti-EU-Haltung bereits von der christdemokratischen EVP-Fraktion suspendiert. Ministerpräsident Victor Orban (55) äusserte Sympathien für Salvinis Europa-Allianz. Ein möglicher Komplett-Abgang (13 Mandate) träfe die Parteienfamilie EVP empfindlich.

Brechen die Christdemokraten auseinander?

Die Fraktionsbildung ist noch nicht abgeschlossen. Die gewählten Abgeordnete verhandeln bis zum 24. Juni über die Bildung der Fraktionen für die 9. Wahlperiode. Gut möglich, dass Salvini und Le Pen bis dahin noch weitere Mitstreiter für ihre neue, rechte Allianz finden.

Interesse geäussert hat zum Beispiel Silvio Berlusconi (82), der als meistgewählter italienischer Kandidat sein Polit-Comeback feiert. Mit seiner Forza Italia zieht er mit immerhin noch sieben Sitzen (2014: 13) ins EU-Parlament ein – sie gehörte bislang zur EVP. 

Sind Rechtspopulisten überall auf dem Vormarsch?

Ja. Portugal zum Beispiel trotzt dem Trend. Während die Rechtspopulisten überall im Aufschwung sind, hatten sie hier keine Chance. Das mag auch an der stabilen Politik im eigenen Land liegen: Seit 2015 regiert eine von links gestützte Minderheitsregierung. Nach Jahren der Krise befindet sich das Land ausserdem im wirtschaftlichen Aufschwung.

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