Er hat Putin ausgetrickst
Dieser Russe hat in der Ukraine auf beiden Seiten gekämpft

Misha Pavlov (24) sass in Russland im Knast, liess sich von der Verbrecher-Truppe «Storm-Z» rekrutieren und legte eine spektakuläre Fahnenflucht hin. Heute sagt er: «Für die Ukraine würde ich sogar meine Mutter töten.» Und er hat einen Tipp für alle russischen Soldaten.
Publiziert: 04.12.2023 um 20:06 Uhr
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Aktualisiert: 05.12.2023 um 15:20 Uhr
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Stillstand an der Front, Widerstand gegen Waffenlieferungen, ein harter Kriegswinter vor der Tür: Die Zeichen stehen schlecht für die Ukraine. Und doch sagt der russische Soldat Mischa Pawlow (24) voller Überzeugung: «Die Ukraine wird den Krieg gewinnen, zu 200 Prozent.»

Der Russe mit den langen Wimpern und der tätowierten Galgenschlinge um den Hals weiss viel über diesen Krieg. Er ist einer von ganz wenigen, die in der Ukraine auf beiden Seiten gekämpft haben: zuerst für Putin, dann für die Ukraine. Dazwischen liegt die Flucht über die Front in die Hände des Feindes, eine Geschichte wie aus einem Hollywood-Film. Blick konnte sie verifizieren.

Mehr als ein Jahr lang sass Mischa Pawlow in seiner russischen Heimatstadt Iwanowo im Knast, weil er offen Kritik an Putins Krieg geübt hatte. Isolationshaft, brutale Bedingungen, ständige Erniedrigungen: Der einstige Versicherungsvertreter wusste, er muss hier irgendwie raus.

Misha Pavlov sass in Russland wegen seiner Putin-Kritik im Knast.
Foto: Samuel Schumacher
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Der Trick des Kriegsspions

Als die Rekrutierer der Häftlings-Truppe «Storm-Z», einer Art «Wagner»-Zwilling, im Frühling in sein Gefängnis kamen und Strafbefreiung für sechs Monate Kriegsdienst in der Ukraine versprachen, meldete er sich freiwillig. Sein Plan: so schnell wie möglich desertieren und sich in der Ukraine dem russischen Freiwilligenkorps anschliessen, einem Verband von russischen Staatsbürgern, die auf der Seite von Kiew kämpfen.

Nach einem kurzen Training schickte man ihn an die Front nördlich von Mariupol. «Zehn Tage harrten wir da aus, fast ohne Munition und ohne Essen», erzählt Pawlow. Er ging an der Front auf und ab und prägte sich die Standorte der Militärdepots und der Kommandoposten ganz genau ein. «Wenn mich einer fragte, was ich hier tue, sagte ich: Essen suchen.» Keiner habe Verdacht geschöpft, sie hätten ja alle gehungert. Leichtes Spiel für einen Kriegsspion.

In der Nacht auf den 27. Juni schliesslich meldet er sich freiwillig, um einen besonders gefährlichen Abschnitt der Front «auszukundschaften». Pawlow schnappte sich einen Kameraden und rannte in Richtung der ukrainischen Stellungen. Sieben Stunden lang schossen sie auf ihn. Sein russischer Begleiter starb. Pawlow aber wurde von den Ukrainern lebend geschnappt. Ein Foto zeigt ihn am Morgen darauf auf der Ladefläche eines Trucks: verbundene Augen, gefesselte Hände. Der Russe, den in der Ukraine alle nur bei seinem Kampfnamen «Pers» kennen, hatte es geschafft.

Der ukrainische Geheimdienst prüfte seine Story. Seine Infos über die russischen Stellungen rund um das Dorf Pryjutne erwiesen sich als wahr. Pers wurde vom Freiwilligenkorps aufgenommen. Seither kämpft er auf der Seite jener, gegen die er einst in den Krieg gezogen war. «Ukrainer sein ist ein seelischer Zustand. Dein Pass spielt keine Rolle», sagt Pawlow. «Ich werde für dieses Land hier sterben, wenn es sein muss.»

Am Telefon sagt er zu seinem Bruder: «Komm an die Front»

Und wenn ihn sein Vater und sein Bruder ab und zu anrufen und ihn beschimpfen, dann antwortet er ihnen: «Ich habe keine Zeit, mit euch zu diskutieren. Aber seid keine Feiglinge, kommt an die Front, dann regeln wir das da.» Seine Familie ist zum Feind geworden. Um Russland zu stoppen, würde er sie töten, sagt Mischa Pawlow. «Auch meine Mutter.»

Wir spazieren durch den Kiewer Vorort Irpin, den die Russen im März 2022 überfallen haben. Der junge Mann, der sich auf Instagram fast zynisch als «radikalen Friedensstifter» präsentiert und der monatelang an den härtesten Frontabschnitten gekämpft hatte, geht an Krücken. Am 30. Oktober wurde er bei Awdijiwka von einer Granate getroffen. Fuss kaputt, Kampfmoral gestärkt: Vier Monate muss er aussetzen, dann will er zurück an die Waffen. «Schau dir nur die Zerstörung an, die meine Landsleute über die Ukraine bringen», sagt Pers und zeigt auf ein zerbombtes Haus.

Für Putin hat er nur eine Botschaft: «Guten Abend aus der Ukraine. Komm mal hierher und frag die Leute, wie sehr sie von dir befreit werden wollen. Du würdest staunen, was sie dir zu sagen haben!» Wichtiger aber sei seine Nachricht an die russischen Soldaten. «Sammelt Infos, merkt euch eure Stellungen, meldet euch bei der Hotline, die die Ukraine extra für Deserteure eingerichtet hat. Das ist euer Ticket in die Freiheit!»

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