Chaos und Zerstörung nach Unwettern auf Ischia
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Eine Tote, mehrere Verletzte:Chaos und Zerstörung nach Unwettern auf Ischia

Acht Tote bei Erdrutsch auf Ischia
Todesfluch über der «Perle im Golf von Neapel»

Bei einem starken Unwetter in der Nacht auf Samstag reisst ein Erdrutsch auf der Vulkaninsel Häuser und Strassen mit. 164 Menschen haben ihr Obdach verloren. Doch die Schäden sind nicht nur naturgemacht. Viele Häuser wurden illegal in der Risikozone gebaut.
Publiziert: 27.11.2022 um 15:30 Uhr
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Aktualisiert: 28.11.2022 um 09:57 Uhr
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Myrte MüllerAussenreporterin News

Es ist eine Katastrophe mit Ansage. Um Mitternacht beginnt es heftig zu regnen. «Um drei Uhr morgens hörten wir ein lautes Krachen wie bei einem schweren Autounfall», erzählt Lisa Mocciaro der italienischen Nachrichtenagentur Ansa. «Um fünf Uhr folgte dann der nächste Knall. Ströme aus Schlamm und Steinmassen wälzten sich durch Casamicciola Terme, Rarone bis runter zu uns auf die Piazza Bagni und flossen schliesslich ins Meer.» In sechs Stunden Gewitter seien bis zu 155 mm Regen gefallen, sagt Klimatologe Massimiliano Fazzini zum Newsportal dire.it. Besonders betroffen ist Casamicciola. Kinderbuchautorin Mocciaro ist sicher im dritten Stock ihres Hauses. Doch unterhalb spielt sich ein Drama ab.

Die Schlamm- und Gerölllawinen reissen Häuser und Autos mit sich. 164 Menschen verlieren in dieser Nacht ihr Obdach. Acht Tote sind bislang geborgen worden. Bereits am Samstag war die Zahl gemeldet worden, weil verschiedene Ministerien unterschiedliche Angaben machten.

Auch drei Kinder unter den Toten

Die erste Tote, die identifiziert wird, ist die 31-jährige Verkäuferin Elisabetta B.*. Kurz bevor die Lawine ihr Haus wegriss, hatte sie ihren Vater, der im Nachbarort lebt, mit dem Handy um Hilfe gerufen. Als der Mann eintraf, war das Gebäude zertrümmert. Noch in der Nacht gelingt es den Helfern, die leblose Tochter zu bergen. Im Laufe der Rettungsaktion wurden ausserdem ein 32-jähriger Mann, eine 30-jährige Frau und eine 58-jährige Bulgarin getroffen.

In der Nacht auf Samstag, den 26. November 2022, reisst heftiger Sturzregen die Menschen aus Casamicciola aus dem Schlaf. Es folgen zwei Erdrutsche, durch Häuser und Autos mitreissen. Bislang wurden die Leichen einer Frau und eines Kindes geborgen. Mehrere Menschen werden noch vermisst.
Foto: AFP
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Am Sonntagmittag zieht dann eine Bergungsmannschaft den kleinen Körper eines Mädchens im rosa Pyjama aus einem kollabierten Haus. Die Sechsjährige wurde im zerstörten Schlafzimmer gefunden. Etwa zur gleichen Zeit graben Männer bis blossen Händen eine tote Pensionärin aus Schlamm und Trümmern. Wenig später wurde ein 11-jähriger Junge, dann ein erst 22 Tage altes Neugeborenes geborgen.

Ischia, die «Perle des Golfs von Neapel» lockt viel Prominenz

Ischia ist wegen der thermischen Badeanlagen ein beliebtes Urlaubsziel. Die deutsche Ex-Kanzlerin Angela Merkel (68) kurt seit vielen Jahren regelmässig auf der Vulkaninsel. Zu den prominentesten Stammgästen zählen auch Filmstars wie Antonio Banderas (62), Danny DeVito (78) oder Christoph Waltz (66). Doch die «Perle des Golfs von Neapel» steht nicht nur für Dolce Vita. Sie hat auch ihre Schattenseiten.

Es ist nicht die erste tödliche Naturkatastrophe auf der nur knapp 44 Quadratkilometer grossen Insel. Am 28. Juli 1883 kamen bei einem Beben 126 Menschen ums Leben. Ende Mai 2006 begrub ein Felssturz vom Berg Vezzi eine vierköpfige Familie. Am 10. November 2009 schwemmte eine Sturzflut eine 14-Jährige weg. Ein Beben Mitte August 2017 hatte zwei Tote und mehrere Tausend Obdachlose zur Folge.

Fast jeder zweite Insulaner hat illegal gebaut

Es sind jedoch nicht nur Unwetter und Beben schuld an den immensen Schäden. Mit den Touristen kam auch die Gier. Häuser wurden reihenweise an die fragilen Hänge gebaut – ohne Planung, Genehmigung und Sicherheitsmassnahmen. Der Raubbau fand vor allem in den 80er- und 90er-Jahren statt.

Laut einer gemeinsamen Studie des italienischen Amtes für Statistik (Istat), des Nationalen Erdbeben-Observatoriums (INGV) und des Umweltministeriums (ISPRA), würden 2000 Bürger der Insel auf 3,47 Quadratkilometern mit erhöhter Erdrutschgefahr leben. Fast jeder zweite der über 60'000 Insulaner habe schwarz gebaut und Anträge gestellt, die illegalen Bauten nachträglich zu genehmigen, schreibt «La Stampa». Zudem hätten 600 illegal gebaute Häuser bereits aus Sicherheitsgründen abgerissen werden müssen. Sie sind zum Teil noch immer bewohnt.

*Name geändert

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