Diese Kosovaren wollen ihr Land verändern
Wir bleiben hier!

Die Partei Vetevendosje will den Kosovo von der Korruption befreien. Sie ist die grösste Oppositionspartei und macht die Regierung für den Exodus verantwortlich. Für Fabrikbesitzer Bedri Kasumi und Künstler Fisnik Ismaili ist weggehen keine Option. Sie wollen ihr Land verändern.
Publiziert: 02.03.2015 um 19:58 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:21 Uhr
Von Lea Gnos (Text) und Joseph Khakshouri (Fotos), Pristina

Zentrale der Partei Vetevendosje, auf Deutsch «Selbstbestimmung». In der Eingangshalle sitzen junge Menschen, die Kosovo verändern wollen. Viele haben genug von der Regierung. Die Bevölkerung Kosovos ist jung, im Durchschnitt 27 Jahre alt. Dank der Jungen ist Vetevendosje drittgrösste Partei im Lande.

Parteipräsident Visar Ymeri (41) muss aufpassen, dass er am Türrahmen nicht den Kopf anschlägt. Der zwei Meter grosse Chef der grössten Oppositionspartei nennt den Exodus seiner Landsleute Revolte. Für ihn ist klar: Das Volk ist unzufrieden mit «denen da oben». Sein Parteiprogramm:

Mit Nationalstolz gegen Korruption sowie internationale Einmischung.

«Die Partei ist unsere Hoffnung», findet Besnik Kallaba (28). Er studierte in Malaysia und hat einen guten Job im Internet-Marketing. Er habe genug von korrupten Regierungspolitikern, die sich Stimmen für wenige Euro kaufen. Es gebe eine regelrechte Kultur der Korruption in diesem Land.

Bakschisch wird dieses Extratrinkgeld auch hier genannt. Empört sagt Kallaba: «Die meisten stören sich aber nur daran, weil sie nicht diejenigen sind, die davon profitieren.»

Vetevendosje fordert die völlige Unabhängigkeit ohne internationale Kontrolle. Seit der blutigen Abspaltung der Provinz Kosovo von Serbien sind internationale Helfer präsent.

Dazu hat Parteipräsident Visar Ymeri eine klare Meinung: «Sie sollten sich weniger einmischen.» Nach dem Krieg habe eine gewisse Zeit das totale Chaos geherrscht. Keiner hielt sich an Verkehrsregeln, die Ampeln funktionierten sowieso nicht.

«Doch wir liessen uns nicht aus der Ruhe bringen», sagt Ymeri in eloquentem Englisch. «Wir werden diese Probleme lösen, denn wir sind ein diszipliniertes Volk.»

Geklaute Dolendeckel

In der Hauptstadt Pristina werden Dolendeckel geklaut, um sie auf dem Schrottplatz zu verkaufen. Und hier sitzen auch die Mitarbeiter der internationalen Denkfabriken mit ihren teuren Laptops und multifunktionalen Rucksäcken in den Cafés.

Ihre Zahl hat abgenommen, doch sie sind immer noch sehr präsent – und verdienen 20-mal mehr als die Einheimischen. Sie halten sich gern im Restaurant Renaissance auf, wo auch der Flughafenchef und ein Ex-Minister speisen.

Es gibt im Ofen gegartes, zartes Poulet, selbst gebackenes Brot, Oliven und Schafskäse. McDonald’s und Burger King sucht man in Pristina vergebens.

Etwas weiter in der Papillon Bar streiten sich zwei um die Rechnung. Der Schnellere bezahlt. Als sein Gast noch einen Espresso will, obwohl die Kaffeemaschine abgestellt ist, holt er ihm in einem Restaurant auf der anderen Strassenseite einen.

«So sind wir eben», lacht er. Ein Taxifahrer meint: «Viele Ausländer verlieben sich erst auf den zweiten Blick in den Kosovo. Aber dann wollen sie nicht mehr weg.»

Bedri Kasumi (52) will auch nicht weg und versteht nicht, dass andere es wollen. Er ist Chef der Kartoffelchips-Firma Pestova. Eines der wenigen Unternehmen, das noch etwas produziert – und exportiert. Nach Albanien, Mazedonien und Montenegro.

Kasumi – er spricht kein Wort Englisch – beschäftigt 156 Mitarbeiter. Am Abend davor habe er bis Mitternacht den Kartoffelacker gepflügt, sagt er. Acht Angestellte seien in den Westen geflüchtet.

Kasumi schüttelt den Kopf: «Dabei zahle ich gute Löhne, ein Saisonnier verdient 450 Euro.» Selbst Manager mit einem höheren Einkommen seien gegangen: «Die Häuser haben sie zurückgelassen. Ich verstehe, wenn jemand ein besseres Leben will. Doch man sollte es auf legalem Wege probieren.»

Zwei sind nach misslungener Flucht zurückgekehrt – und wollten ihre Jobs wieder. Zum ersten Mal lacht Kasumi: «Ich habe sie genommen. Damit sie allen erzählen, wie schlimm ihre Reise war.»

Ohne Firma ginge es ihm wohl besser, sagt er, weil er weniger Stress hätte. Aber mit Blick auf die Mitarbeiter an den Maschinen:

«Ich trage Verantwortung für sie.» Viele Unternehmen seien bei der Privatisierung nach dem Krieg in falsche Hände geraten. «Sie wurden stillgelegt oder mit Blick auf kurzfristige Profite veräussert.»

«New Born»

Der Künstler Fisnik Ismaili kämpfte im Unabhängigkeitskrieg. «Der Exodus», sagt er, «macht mich sehr traurig». Er steht vor seinem grössten Werk. Die 24 Meter lange Schriftskulptur «New Born» wurde am Tag der Unabhängigkeit, bei der Geburt Kosovos, enthüllt.

Bilder davon gingen um die Welt. Das neun Tonnen Stahlkon-strukt ist ein Symbol der Hoffnung.

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