Die jüngste WEF-Teilnehmerin Naomi Wadler (13) kämpft gegen Waffengewalt
«George Clooney rief meine Mutter an!»

Schon mit 11 Jahren galt die Anti-Waffen-Aktivistin Naomi Wadler als Stimme ihrer Generation. Das Parkland-Attentat hat sie politisiert. Jetzt ist sie 13 – und in Davos, um den Mächtigen die Meinung zu geigen.
Publiziert: 23.01.2020 um 16:25 Uhr
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Aktualisiert: 23.01.2020 um 19:42 Uhr
Interview: Fabienne Kinzelmann

Naomi Wadler ist unglaublich. Zu Wochenbeginn steht sie zwischen ein paar der insgesamt zehn Teenager-Aktivisten, die Klaus Schwab (81) in diesem Jahr neben Greta Thunberg (17) eingeladen hat. Auf den ersten Blick ist Wadler die kleinste, zarteste, scheuste von allen. Aber sobald die 13-Jährige ein Mikrofon in der Hand hält, dreht die jüngste WEF-Teilnehmerin auf. Wie Greta Thunberg fordert sie die Wirtschafselite in klaren, präzisen Sätzen zum Handeln auf. In ihrem Fall: Stoppt endlich die verdammte Waffengewalt und die Gewalt gegen Schwarze!

BLICK: Wie wurdest du eine der wichtigsten Anti-Waffen-Aktivistinnen der USA?
Naomi Wadler:
Meine Mama hat immer mit mir über soziale Themen und Politik gesprochen – zum Glück. Ich weiss, dass andere Eltern das nicht machen, weil sie ihre Kinder schützen wollen. Ohne meine Mutter und das, was sie mir beigebracht hat, hätte ich aber nicht dasselbe Vertrauen in mich und meine Botschaft.

Bei dem grossen «March for Our Lives» nach dem Parkland-Attentat warst du mit elf Jahren die jüngste Rednerin. Wie kam das?
Ich habe in meiner Grundschule einen «Walkout» organisiert – 17 Minuten für die 17 Studenten und Lehrer, die in Parkland getötet wurden. Wir haben eine extra Minute für Courtlin Arrington drangehängt. Sie war eine junge Schwarze, die in ihrem Gymnasium in Alabama von einem Mitschüler erschossen wurde. Ihr Tod wurde kaum beachtet. Das wollten wir ändern. Die Medien haben darüber berichtet, und ich durfte in einem Videointerview über meine Gefühle und Gedanken reden. Ein paar Tage später rief George Clooney meine Mutter an.

Naomi Wadler (M.) dreht auf, sobald sie ein Mikrofon in der Hand hat.
Foto: PASCAL BITZ
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George Clooney hat deine Mutter angerufen?
Ja, die Parkland-Teenager wollten, dass ich bei der Demo spreche. Damit meine Mama nicht Nein sagt, haben sie Clooney gebeten, sie anzurufen. Und klar: Niemand sagt Nein zu George Clooney. Ich hatte allerdings keine Ahnung, wie man eine Rede schreibt. Dann habe ich einen ganzen Tag daran gearbeitet, und meine Mama hat mir geholfen, sie zu strukturieren.

Wie sieht dein Leben jetzt aus – bist du morgens Schülerin, nachmittags Aktivistin?
Ich gehe Vollzeit zur Schule, meine Ausbildung geht vor. Für das WEF musste ich mir aber zwei Wochen freinehmen und viel Hausaufgaben machen.

Wie kommt es, dass du in Davos bist?
Das WEF-Team hat meine Mutter auf Twitter angeschrieben, ich kannte die Veranstaltung nicht mal. Dann habe ich es gegoogelt und dachte mir: Da muss ich unbedingt hin.

Was willst du hier erreichen?
Ich nehme an fünf Podiumsdiskussionen teil. Ich freue mich auf die Gespräche, aber die reichen nicht. Ich hoffe, dass ich gute Beziehungen zu Leuten aufbauen kann, die uns helfen, wirklich zu handeln.

US-Präsident Donald Trump war auch da. Er steht ja ungefähr für alles, gegen das du kämpfst.
Oh ja, ich... – ach nein, dazu möchte ich doch lieber nichts sagen. Meine Mama hat mir beigebracht: Wenn ich nichts Nettes zu sagen habe, sollte ich lieber gar nichts sagen.

Naomis Mutter Julia Wadler hört das Lob ihrer Tochter gar nicht. Die Fundraiserin sitzt in der Sofaecke gegenüber, arbeitet fleissig: «Mein Leben und meine Arbeit hören ja nicht auf, nur weil Naomi nach Davos muss.»

Welche Rolle spielt deine Herkunft für dein Engagement?
Ich bin auf dem Land in Äthiopien geboren. Ich wäre nicht mal hier, wenn mich meine Mama, eine Weisse, nicht adpotiert hätte. Ich bin durch diese Adoption sehr privilegiert und meine Familie ist wohlhabend. Ich frage mich oft, ob ich als privilegierte Schwarze überhaupt über manche der Themen sprechen darf, die vor allem Schwarze aus anderen Schichten betreffen. Deswegen versuche ich, anderen Schwarzen und Menschen mit Migrationshintergrund eine Plattform zu geben. Ich will nicht ständig über mich reden. Aber wenn ich es muss, versuche ich, es zu nutzen, um die Stimmen von anderen jungen Mädchen hervorzuheben.

Findest du, Greta Thunberg und Emma Gonzalez bekommen zu viel Aufmerksamkeit?
Ich bin nicht neidisch. Ich liebe Emma und Greta. Es ist nicht ihre Schuld, dass weisse Mädchen mehr Aufmerksamkeit erhalten als Mädchen wie ich je bekommen werden. Wenn ich als schwarzes Mädchen wie Emma oder Greta auf einer Bühne emotional werde, schreien und weinen würde, gälte ich sofort als unhöflich und respektlos. Also bemühe ich mich, immer ruhig und professionell zu sein.

Was hilft gegen die Vorurteile?
Medien sollten mehr über diejenigen berichten, die genauso viel machen wie diejenigen, die von den Medien glorifiziert werden.

Viele junge Aktivisten, insbesondere die Frauen, kämpfen mit Hassnachrichten. du auch?
Meine Mama zeigt sie mir nicht. Sie managt noch immer meine Accounts in den sozialen Netzwerken, weil ich vor meinem 13. Geburtstag gar nicht auf Facebook und Twitter sein durfte. Ich weiss aber, dass ich oft rassistisch beleidigt werde. Und es gab eine Frau, die behauptete, meine Mutter zu sein. Dabei weiss ich genau, wo meine leibliche Mutter ist – sie lebt in Äthiopien.

Dank eures Protests sind Bump Stocks, mit denen man halbautomatische Waffen aufrüsten kann, in fast allen US-Bundesstaaten verboten. Kann es sein, dass eure Bewegung seither eingeschlafen ist?
Der Auslöser war ja eine gigantische Tragödie. Für ein paar Monate, vielleicht auch ein Jahr, hat sich alle Aufmerksamkeit darauf konzentriert. Das ist jetzt sicher nicht mehr so. Gerade deshalb müssen wir weitermachen – mit Gesprächen dazu, mit unserem Aktivismus und dass ich zum Beispiel so ein Interview gebe. Wenn wir mit unserem Protest aufhören, sehen die Leute nicht mehr, wie viel Waffengewalt es noch immer gibt.

Hast du jemals einen Amoklauf miterlebt?
Nein. Aber ich musste früh «Lockdown Drills» trainieren. Wir verstecken uns dann alle in einer Ecke oder unter den Pulten und sind so leise wie möglich. Wir schliessen die Tür ab, kleben Papier übers Schlüsselloch und lassen die Fensterblenden runter, damit niemand reinsehen kann. Das erste Mal musste ich das mit vier im Kindergarten machen. Wir lasen Bücher, während wir an Wand standen. Ich habe damals noch gar nicht verstanden.

Wann hat sich das geändert?
In der zweiten oder dritten Klasse gab es eine Schiesserei im Block neben meiner Schule. Ich hatte solche Angst! Der Attentäter, ein Mann, der zwei Frauen erschossen hatte, rannte noch in der Nachbarschaft herum. Es kamen Helikopter und eine Spezialeinheit hat unsere Schule durchsucht. Später habe ich mich dann an solche Alarme gewöhnt. Und das ist das gruseligste: Das ist normal, das passiert in Amerika ständig. Und genau das sollte nicht sein.

Mit diesem Statement beenden wir das Interview. Naomis Mutter schaut von ihrem Handy auf: «Schluss für heute, du hast keine Termine mehr!» Naomi fängt an zu strahlen. «Grossartig! Kann ich dann ‹Sinners schauen›?» Ihre Mutter seufzt: «Eine furchtbare Serie!» Naomi widerspricht: «Sie ist super! Sehr brutal.» Sie liebe auch Horrorfilme, sagt die Teenagerin. «Das beruhigt mich, weil ich sehe, dass es immer noch schlimmer sein könnte.» Was auch immer sie gerade durchmache – sie müsse immerhin nicht jede einzelne Minute vor einem Killer davonlaufen.

Parkland-Attentat entfachte Waffen-Diskussion

Parkland, Florida, am 14. Februar 2018: Ein Schüler tötet innerhalb von nur sechs Minuten 17 Schüler und Lehrer. Leider kein tragischer Einzelfall. Doch diesmal haben die Schüler, die mit der Angst vor Amokläufen aufwachsen, genug. Das Schulmassaker löste in den USA die grössten Anti-Waffen-Proteste seit Jahrzehnten aus. Die Teenager von Parkland organisieren mit beeindruckendem Engagement den gigantischen March For Our Lives (Marsch fürs Leben) am 24. März 2018 in Washington. An der Hauptveranstaltung in Washington nehmen 800'000 Menschen teil. Der berühmteste Unterstützter: Hollywoodstar George Clooney (58). Als Reaktion wurden «Bump Stocks», von Attentätern häufig benutzt Vorrichtungen, um halbautomatische Waffen aufzurüsten, noch im selben Jahr in den meisten US-Bundesstaaten verboten.

Parkland, Florida, am 14. Februar 2018: Ein Schüler tötet innerhalb von nur sechs Minuten 17 Schüler und Lehrer. Leider kein tragischer Einzelfall. Doch diesmal haben die Schüler, die mit der Angst vor Amokläufen aufwachsen, genug. Das Schulmassaker löste in den USA die grössten Anti-Waffen-Proteste seit Jahrzehnten aus. Die Teenager von Parkland organisieren mit beeindruckendem Engagement den gigantischen March For Our Lives (Marsch fürs Leben) am 24. März 2018 in Washington. An der Hauptveranstaltung in Washington nehmen 800'000 Menschen teil. Der berühmteste Unterstützter: Hollywoodstar George Clooney (58). Als Reaktion wurden «Bump Stocks», von Attentätern häufig benutzt Vorrichtungen, um halbautomatische Waffen aufzurüsten, noch im selben Jahr in den meisten US-Bundesstaaten verboten.

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Schon mit elf Jahren nannten Zeitungen sie die «Stimme ihrer Generation»: Da wurde Naomi Wadler (13) aus Washington D.C. mit ihrer Rede beim «March for Our Lives» bekannt. «Ich bin hier, um die afroamerikanischen Mädchen zu würdigen, deren Geschichten nicht auf den Titelseiten erscheinen, deren Geschichten nicht in den Abendnachrichten sind», sagte sie. Die Schülerin wurde in Äthiopien geboren und als Baby von der Amerikanerin Julie Wadler adoptiert. Naomis Rede ging viral, Hollywoodstars twitterten über sie. Die junge Aktivistin selbst bekam das allerdings erst mal nicht mit, weil sie zu dem Zeitpunkt selbst noch nicht auf Social Media unterwegs war. Der Teenager spielt seit neun Jahren Tennis, isst am liebsten Hamburger. Schweizer Fondue will Naomi während des WEF vielleicht noch mal eine Chance geben. «Beim ersten Mal mochte ich es aber nicht.»

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