Die deutsche Bundeskanzlerin ringt im TV um Fassung
Merkel in der Putzfrauen-Falle

Eine Putzfrau konfrontiert die deutsche Kanzlerin im Fernsehen mit ihren Alltagssorgen. Und plötzlich wird der Wahlkampf doch noch spannend.
Publiziert: 15.09.2017 um 19:03 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:25 Uhr
Hier ringt Merkel um passende Worte
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Putzfrau konfrontiert Bundeskanzlerin in ZDF-Sendung:Hier ringt Merkel um passende Worte
Johannes von Dohnanyi

Nur noch zehn Tage sind es bis zur Bundestagswahl in Deutschland. Das Rennen scheint gelaufen. Mehr als drei Viertel der Wähler gehen davon aus, dass sie auch in den kommenden vier Jahren von der Christdemokratin Angela Merkel regiert werden. Und dass die Sozialdemokraten erneut den Juniorpartner in der nächsten Grossen Koalition stellen werden.

Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag in der Sendung «Klartext».
Foto: Screenshot ZDF

Aber manchmal treffen Politiker eben doch auf richtige Wähler aus Fleisch und Blut, auf Menschen mit ganz konkreten Fragen und Sorgen. Und dann lässt sich erahnen, warum die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) am 24. September als drittstärkste Fraktion in den nächsten Bundestag einziehen könnte.

Gegen die Langeweile

Donnerstagabend im Berliner Hauptstadtstudio des ZDF: Wie alle Sender sucht auch das Zweite Deutsche Fernsehen händeringend nach einem neuen Format für Begegnungen zwischen Bürgern und Politik. «Klartext» haben sie die Sendung genannt, in der die Fragen nicht von professionellen Moderatoren, sondern direkt aus dem Publikum kommen. Und nach dem SPD-Kandidaten Martin Schulz haben sie diesmal die Kanzlerin eingeladen.

Putzfrau Petra Vogel kritisierte die Kanzlerin, weil sie trotz vieler Jahre Arbeit nur eine geringe Rente bekommen wird.

Doch: Mit Emotionen kann die erfahrene Wahlkämpferin Angela Merkel durchaus aus der Fassung gebracht werden. Etwa, wenn sich Petra Vogel aus Bochum ihren Frust von der Seele schimpft. Seit 40 Jahren arbeitet sie als Reinigungskraft in einem Krankenhaus. Etwas mehr als 1000 Euro im Monat verdient Frau Vogel mit dieser «Knochenarbeit».

Verständnis, vielleicht sogar Mitgefühl im Nicken der Kanzlerin. Sie weiss ebenso wenig wie das Publikum, dass Frau Vogel seit Jahren im Betriebsrat ihres Krankenhauses sitzt und kaum noch selber putzt. Und dass sie sich bei der Partei Die Linke engagiert, hier in der «Klartext»-Sendung also so etwas wie ein «feindliches U-Boot» ist.

Wahlkampf der Putzfrauen

Merkel ist übrigens nicht die Erste, die sich in diesem Wahlkampf mit einer zornigen Reinigungskraft aus dem Ruhrgebiet auseinandersetzen musste. Anfang Mai traf ihr sozialdemokratischer Aussenminister Sigmar Gabriel – ebenfalls vor laufender Kamera – auf Susanne Neumann aus Gelsenkirchen. Damals ging es um das Thema soziale Gerechtigkeit. Und da hatte die frisch in die SPD eingetretene Putzfrau dem Herrn Minister einiges um die Ohren zu hauen.

Die unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder beschlossene und unter dem Namen Agenda 2010 bekannte Reform des Arbeitsmarktes sei eine Schande für die Sozialdemokraten: «Die muss abgeschafft werden.» Ebenso wie die Regelung der befristeten Arbeitsverträge und der Leiharbeit …

Und dann, unter grossem Applaus im Publikum: «Wir haben den Glauben an den Gerechtigkeitssinn der SPD verloren!»

Da war es, das grösste Problem der SPD. Mit den «Schwatten» (Schwarze=CDU), versuchte sich Gabriel im Ruhrdialekt der neuen Genossin zu verteidigen, seien die von der SPD gewünschten Reformen nicht zu machen gewesen. Und überhaupt: «Wie können wir unsere politischen Ziele gegen den Willen der CDU durchsetzen?»

Und da war dann auch Frau Neumann auf einmal verwirrt: «Wenn ’ne Reinigungskraft dir dat sagen könnte …»

Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben

Und jetzt musste auch Angela Merkel erfahren, dass die deutschen Putzfrauen wissen, was die Wähler umtreibt. In wenigen Jahren, rechnete Petra Vogel vor, werde sie mit monatlich etwa 656 Euro in Rente gehen.

Die plötzlich angespannten Gesichtszüge zeigen: Merkel spürt, wohin die Reise geht …

Und tatsächlich kommt die Putzfrau aus dem Ruhrpott jetzt richtig in Fahrt: «Wasser und Brot und feddich (fertig)» würden ihr dann noch zum Leben bleiben. Dann werde sie «nichts als zu Hause sitzen und an nichts mehr teilhaben können». Applaus im Publikum.

Merkel versucht es mit sachlich kühlen Rückfragen: Ob die Fragerin eine Zusatzversorgung abgeschlossen habe.

«Von 1050 Euro?» Der bittere Spott, die wütende Häme sind nicht zu überhören. Der Applaus wird stärker. Und auf Twitter beginnen sich linke wie rechte Merkel-Hasser warmzulaufen.

Konkrete Fragen – schwammige Antworten

Warum es keine Bürgerversicherung wie in Österreich gebe, will Petra Vogel wissen. Warum nicht wenigstens eine Grundrente von 1000 Euro für alle, «damit wir im Alter nicht am Bahnhof rumstreichen müssen, um Flaschen und Dosen zu sammeln». Damit hat Petra Vogel die Sympathien des Publikums endgültig auf ihrer Seite.

Und die Kanzlerin? Die zögert, ist verunsichert, wirkt auf einmal angezählt. Sie weiss, dass sie mit dem Hinweis auf die von ihrer Regierung beschlossene Grundsicherung kaum noch punkten kann. Wer am unteren Ende der Versorgungsskala steht, will nicht hören, dass das deutsche Rentensystem über einen langen Zeitraum eben «so gewachsen ist».

Solidarische Zuschauer

Und prompt erfährt Petra Vogel die wütende Solidarität einer anderen Zuschauerin: Geradezu «unverschämt» sei Merkels Antwort. «Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt.» Da sei Altersarmut schlicht nicht akzeptabel. Noch stärkerer Applaus.

Und die Kanzlerin kann nichts tun, als noch einmal freundlich-verbissen zu lächeln. Und abschliessend zuzugeben, dass sie «ein ganz neues Rentensystem» nicht versprechen kann.

Punktsieg für das linke «U-Boot» Petra Vogel.

Und wilde Twitterstürme der Merkel-Hasser, die noch einmal stärker werden, als Sabine Erdmann aus dem ostdeutschen Erfurt insinuiert, dass die deutschen Frauen «wegen Ihrer Flüchtlingspolitik» von arabischen Sexualstraftätern heimgesucht werden.

Aber ausgerechnet mit diesem Vorwurf bekommt Angela Merkel wieder festen Boden unter den Füssen. Jede Straftat werde verfolgt, bescheidet sie die besorgte Erfurterin. Jeder verurteilte Straftäter werde abgeschoben. Das sei in der Regierung beschlossen. Und darüber hinaus dürfe es keinen Generalverdacht gegen Flüchtlinge geben. «Jeder verdient es, dass sein Schicksal individuell geprüft wird».

«Ich liebe Sie, Frau Merkel», freut sich ein junger Mann aus Syrien. Das Publikum applaudiert. Diesmal für die Kanzlerin.

Am 24. September wird sich dann entscheiden, ob die Opposition im deutschen Parlament von der AfD angeführt wird. Einer Partei, die immerhin zwei Drittel der Deutschen als zumindest ziemlich rechtsextremistisch einstufen.

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