Deutschlands Asyl-Krise ist nur vordergründig beigelegt
Nachbarländer spielen nicht mit

Die deutsche Regierungskoalition hat sich auf ein gemeinsames Handeln in der Flüchtlingsfrage geeinigt. Doch das Papier wirft einige neue Fragen auf und ist zu wenig substanziell, um die Asyl- und Vertrauenskrise zu beenden.
Publiziert: 06.07.2018 um 08:43 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:18 Uhr
Fabian Vogt

Auf einmal ging es ganz schnell: Nur knapp eine Stunde sassen CDU, CSU und SPD am Donnerstagabend zusammen, dann war die Asyl-Frage keine mehr. Auf zwei Seiten Papier wurde ein Streit beigelegt, der Deutschland wochenlang einschnürte und Angela Merkel das Kanzleramt hätte kosten können.

Flüchtlinge sollen fortan in einem Transferverfahren innerhalb von 48 Stunden überprüft werden, von Transitzentren ist in der Grossen Koalition keine Rede mehr. Wer bereits in einem anderen EU-Staat Asyl beantragt hat, wird dorthin abgeschoben. Wer bereits in Deutschland registriert ist und noch nirgends Asyl beantragt hat, soll ein beschleunigtes Verfahren erhalten.

Wenig Neues, ausser neue Probleme

Bis auf den Verzicht auf Transitzentren, der reine Wortklauberei ist, steht wenig Neues in dem Papier. Union wie SPD waren sich immer einig, jene Flüchtlinge zurückzuweisen, die schon in einem anderen EU-Mitgliedstaat Asyl beantragt haben. Auch für beschleunigte Verfahren konnten sich stets alle Parteien begeistern. Statt Probleme aus der Welt zu schaffen, scheint das Papier eher neue zu erzeugen: 

Österreich denkt überhaupt nicht daran, Flüchtlinge wieder einreisen zu lassen, die in Deutschland abgewiesen und nicht vom eigentlich zuständigen EU-Staat zurückgenommen werden. Das ist deshalb ungünstig für Deutschland, weil die Transitverfahren nahe der gemeinsamen Grenze stattfinden werden.

CSU-Chef Horst Seehofer war extra deshalb am Donnerstag nach Österreich gereist, konnte von seinem einem Treffen mit Kanzler Sebastian Kurz aber lediglich berichten, dass man sich einigte, die Südroute für Flüchtlinge schliessen zu wollen, falls auch Italien dabei ist. Eine Zusage zur Rücknahme von Flüchtlingen gab es nicht. Gleichzeitig war der ungarische Staatspräsident Viktor Orban zu Gast bei Angela Merkel. Er lehnte strikt ab, Flüchtlinge von Deutschland zurückzunehmen. 

Keine Rückführungsabkommen mit Nachbarstaaten

Horst Seehofer wird deshalb in den nächsten Monaten viel herumreisen und betteln müssen. Deutschland besitzt zwar Rückführungsabkommen mit diversen afrikanischen und asiatischen Ländern sowie mit allen Staaten des Westbalkans, mit den Nachbarländern jedoch nicht. Angela Merkel behauptete nach dem EU-Gipfel letzte Woche, dass sie Zusagen von 14 Ländern erhalten habe, doch diverse sagten darauf, dass dem nicht so sei. 

Warum die Verfahren nur an der Grenze zu Österreich abgewickelt werden sollen, ist ebenfalls nicht klar. 18'024 Menschen, die bereits in anderen Staaten registriert waren, reisten dieses Jahr illegal nach Deutschland ein. Davon aber weniger als ein Drittel aus Österreich, weshalb es Sinn machen könnte, die Überprüfungen auch an den Grenzen zu anderen Staaten durchzuführen. Aus der Schweiz etwa gelangten laut offiziellen Zahlen rund 2000 illegale Einwanderer nach Deutschland. 

Ohnehin scheint das Problem kaum eins zu sein: Horst Seehofer sprach am Donnerstag von «300 bis 350» Fällen pro Monat. Da muss die Frage erlaubt sein, weshalb diese Thematik Deutschland derart beschäftigt hatte.

Ankerzentren nach Dublin-Prinzip

Die deutlich grössere Zahl sind bereits in Deutschland lebende Asylsuchende, die zuvor anderswo registriert wurden. Sie sollen unter anderem mittels verdeckten Fahndungen ermittelt und danach in sogenannte Ankerzentren gebracht werden. Dort sollen sie ein beschleunigtes Verfahren erhalten. Dabei wird allerdings nicht das Asylverfahren selbst gestartet, sondern lediglich die bereits praktizierte Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin-Verordnung beschleunigt werden. 

Das zweiseitige Papier hat den Asyl-Streit in Deutschland vordergründig beendet, so haben es die Parteien kommuniziert. Doch es scheint zu wenig substanziell, als dass es sämtliche Probleme lösen könnte. Den entstandenen Vertrauensverlust wird die Regierung ebenfalls kaum so schnell wettmachen können. Weder untereinander, noch beim Volk. Laut einer Umfrage von Donnerstag sind nur noch 21 Prozent der Deutschen mit ihrer Regierung zufrieden.

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