Depressionen, Mobbing, herzloses Hofprotokoll
So leidet Japans Kaiser-Familie

Das Leben der Tenno-Familienmitglieder ist von strenger Disziplin und öffentlichen Erwartungen geprägt. Kaiser Akihito (82) hat jetzt genug. Er ist nicht der einzige der am Kaiserhof leidet.
Publiziert: 08.08.2016 um 18:26 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 20:06 Uhr

Heute deutete Kaiser Akihito in seiner TV-Ansprache an, dass er gerne zurücktreten möchte. Er vermied es, das Wort «Rücktritt» zu verwenden, sprach aber von seiner Besorgnis, «dass es für mich schwierig wird, meine Aufgaben als Symbol des Staates mit voller Kraft zu erfüllen, wie ich das bis jetzt getan habe.»

Manchmal fühle er «verschiedene Einschränkungen», etwa durch seine «körperliche Fitness». Kaiser Akihito hat eine Herz-OP hinter sich und Prostata-Krebs überlebt.

Akihito wäre der erste moderne Kaiser Japans, der zu Lebzeiten zurücktreten würde. Er ist seit 1989 der 125. Tennō (Grosser Herrscher, so sein Titel). Offiziell heisst es, dass der heutige Kaiser mit dem legendären 1. Kaiser aus dem 7. Jahrhundert vor Christus verwandt ist.

Kronprinzessin Masako nach ihrer Hochzeit 1993.
Foto: AP/Itsuo Inouye
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Über die Jahre wurde um die Familie ein strenges Korsett geschnürt - heute leiden die rund 20 Mitglieder der jahrhundertalten Dynastie. Flucht ist keine Option: Und gesetzlich ist weder ein kaiserlicher Rücktritt noch ein weiblicher Thronfolger vorgesehen.

Goldener Käfig und Depressionen

Was bleibt, ist ein einsames Leben im goldenen Käfig, streng vom kaiserlichen Hofamt kontrolliert. Die Familienmitglieder haben weder Handys noch Nachnamen.

Masako (52, gebürtig Masako Owada), der Gattin des Kronprinzen Naruhito (56), bereiten diese Lebensumstände Kummer. Seit ihrer Einheirat in die kaiserliche Familie wird ihre Garderobe wird von Modeberatern ausgewählt, ihr Essen von Ärzten und Köchen bestimmt. Mehr als 1000 Höflinge beobachten jeden ihrer Schritte.

Eine harte Umstellung für die frühere Karriere-Diplomatin und Absolventin der US-Elite-Universität Harvard. Seit der Hochzeit besteht ihre Aufgabe in der öffentlichen Wahrnehmung primär in der Produktion eines männlichen Thronfolgers.

Die Prinzessin brachte allerdings «nur» eine Tochter zur Welt und erlitt drei Fehlgeburten. Gemein: In Teilen der Öffentlichkeit wird sie deshalb als Fortpflanzungsversagerin abgestempelt. Der hohe öffentliche Druck und das Korsett des Hofs stürzten die Kronprinzen-Gattin 2002 in Depressionen.

2003 erkrankte sie an Gürtelrose und musste mehrere Wochen in den Spital. 2004 wurde ihr offiziell eine «stressbedingte Anpassungsstörung» diagnostiziert. Öffentliche Auftritte wurden noch rarer. Sie werde mit niedrigdosierten Psychopharmaka behandelt, heisst es.

Eine tragische Wende in einem scheinbar märchenhaften Leben. Die Tokioterin galt bei ihrer Hochzeit als lebenslustig: Ihre Kindheit verbrachte die Diplomaten-Tochter in Moskau und New York, später studierte sie in Tokio und lernte die Kunst der Diplomatie in Oxford.

Heute darf sie sich nicht mal mehr ihr ergrautes Haare färben – der Hof will es so. Will sie ihre Eltern besuchen, braucht sie eine Sondererlaubnis. Plaudert Masako auf Englisch wird sie in den Medien angeätzt. Eine Scheidung ist sowieso undenkbar und brächte grosse Schande über die Familie. Und würde auch Kronprinz Naruhito (53) unglücklich machen: Hoffnungvoll schwor er ihr bei der Verlobung, sie vor Hof und Volk zu schützen.

Auch Tochter Aiko leidet

In Wahrheit hat er kaum Einfluss: Auch Tochter Aiko (14) leidet unter dem strengen Hofprotokoll – selbst ausserhalb der Palastmauern. Obwohl sie, Stand heute, nie den Thron besteigen wird. Zusätzlich wurde sie laut Medienberichten an der exklusiven Gakushuin-Schule gemobbt, blieb dem Unterricht deshalb für mehrere Wochen fern. Der Hof sprach hingegen nur davon, dass mehrere Jungs sie «erschreckt» hätten.

Um einen männlichen Thronfolger muss sich der Kaiserhof aber nicht sorgen: Masakos Schwägerin Kiko (49), Gattin von Naruhitos jüngerem Bruder Akishino (50), gebar neben zwei Töchtern auch einen Sohn, Hisahito (9) – er soll einst Japans nächster Tennō werden.

Aber auch Hisahito wird einst nur eine zeremonielle Funktion wahrnehmen: Die kaiserliche Familie geniesst zwar eine herausragende Stellung in der japanischen Gesellschaft – politischen Einfluss hat sie aber seit dem Ende des 2. Weltkriegs keinen mehr. Immerhin: Der Kaiser gilt gemäss Verfassung als «Symbol der Einheit Japans» und ist nominelles Oberhaupt der Shinto-Religion.

Die japanische Kaiserfamilie ist sowas wie der Papst für die westliche Welt: Eine Instanz höchster Moral. Ein Rücktritt gehört sich nicht. Aber die Zeiten ändern sich. Auch Benedikt XVI. durfte zurücktreten. (pfc)

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