Das Dorf Velka Maca ein Jahr nach dem Mord an Jan Kuciak
«Ich weine fast jeden Abend»

Vor genau einem Jahr wurde in Velka Maca der Investigativjournalist Jan Kuciak (†27) ermordet. Das stille Dorf stand plötzlich weltweit in den Zeitungen. Wie haben das Verbrechen und die traurige Bekanntheit das Dorf verändert? Ein Besuch auf dem Land.
Publiziert: 19.02.2019 um 23:25 Uhr
Vinzenz Greiner
Vinzenz GreinerRedaktor Storytelling

Heute fegt ein eisiger Februarwind durch den 2600-Seelen-Ort Velka Maca, 50 Kilometer östlich von Bratislava. «Er liegt in der Luft», brummt Stefan Lancz (52). Der fleischige Mann meint damit nicht etwa den Schnee, den man derzeit auch hier in der Westslowakei zu riechen glaubt. Sondern den Mord, der das Dorf, sein Dorf, weltbekannt machte.

Denn in Velka Maca wurden der Journalist Jan Kuciak (†27) und seine Verlobte Martina Kusnirova (†27) am 21. Februar 2018 ermordet. Kuciak arbeitete für die Plattform «aktuality.sk», die wie BLICK zur Ringier Gruppe gehört. Er deckte unter anderem Steuerbetrug in Millionenhöhe auf und wies nach, dass die Mafia Verbindungen bis ins Büro des slowakischen Regierungschefs unterhielt.

Die Polizei geht nach wie vor davon aus, dass Kuciak wegen seiner Investigativ-Recherchen erschossen wurde. Vier Verdächtige sind inhaftiert. Der Auftraggeber wird noch gesucht. Der Mord löste ein politisches Beben aus: Zehntausende Slowaken demonstrierten gegen Korruption und für Pressefreiheit, Regierungsmitglieder und der Polizeipräsident traten zurück. Und Velka Maca?

Anka Farkaskova wohnt gegenüber dem Haus, in dem der Mord geschah. «Ich weine fast jeden Abend», sagt sie.
Foto: Vinzenz Greiner
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Gewaltverbrechen kannte man bislang nicht

Die kalte Morgensonne fällt durch die altrosa Vorhänge ins Büro von Stefan Lancz. Er spricht davon, dass Kuciaks Arbeit nicht in Vergessenheit geraten dürfe. Davon, dass es Pläne gebe, Kuciaks Haus in eine Gedenkstätte umzuwandeln, dass am Todestag eine Messe stattfinden wird. Auf Lancz’ Schreibtisch liegt ein mächtiger Schlüsselbund. Ein Insigne der Macht. Lancz ist seit 17 Jahren Ammann von Velka Maca, wo viele Leute ungarisch als Muttersprache sprechen. Sein Gemeindeamt liegt an der Kreuzung, wo alles Wichtige seinen Platz hat: Kirche, Post, Apotheke, Supermarkt. Hier gibt es Elektriker, Logistik-Firmen und einen Landwirtschaftsbetrieb Kolchoz. Zwei Bushaltestellen und zweimal die Woche Männerbadminton. Am Sonntag: Messe und Volleyball. Fast niemand schliesst hier das Velo ab.

Gewaltverbrechen kannte man bislang nicht. Gut, es kam ab und zu zu Prügeleien auf Dorffesten. Und dann entdeckte man vor ein paar Jahren bei Bodenarbeiten die Überreste zweier Männer. Aber wie sich herausstellte, waren es Soldaten der deutschen Wehrmacht, die dort schon Jahrzehnte vor sich hin gemodert hatten. Und dann kam der Februar 2018.

Lancz kann sich noch gut erinnern, als er aus den Nachrichten erfuhr, dass in seinem Dorf zwei Leichen gefunden wurden. «Ich dachte erst, es sei ein Unfall gewesen, ein Leck in einem Gasrohr oder etwas Ähnliches. Aber an Mord habe ich überhaupt nicht gedacht.» Erst als der slowakische Polizeipräsident zur Pressekonferenz gebeten hatte, sei klar gewesen: Es war Mord.

«Eine solche Bekanntheit will niemand haben»

Und plötzlich war Velka Maca kein «stiller Ort» mehr, wie Lancz ihn bezeichnet. Eine Delegation des EU-Parlaments kam mit einem Bus vorbei. Das Dorf tauchte in Deutschland von «Bild» bis ZDF und in Schweizer Medien auf, «Le Monde» aus Frankreich berichtete, ein US-Reporter war auch hier. Einerseits ist Lancz dankbar, dass auch im Ausland über den Mord berichtet wurde. «Ohne diese Berichterstattung hätte der Mord bei den Polizeibeamten vielleicht keine Priorität gehabt», sagt Lancz. Andererseits: «Eine solche Bekanntheit will niemand haben.»

Schon gar nicht ein Dorf, das versucht, die Einwohner nicht an die umliegenden Städte zu verlieren, und für das es «nichts Schlimmeres» gibt als verwaiste Häuser, wie Ammann Lancz erklärt. Er habe aber seither keine merkliche Abwanderung festgestellt. Das Image ist trotzdem ramponiert. «Wenn die Leute heute den Ortsnamen Velka Maca hören, dann hören die Leute gleich Mord mit», sagt Simona Siposova (24), die gerade etwas auf die Post bringt. Kaugummi im Mund, lange Nägel an den Fingern, Pelzkragen an der Jacke.

Sie und andere Dorfbewohner sprechen immer noch über den Mord. Dass noch einmal so etwas passiert, glaubt zwar niemand. Zurückgelassen hat der Mord aber ein tief sitzendes Unbehagen. «Wenn man Autos hier sieht, die fremde Kennzeichen haben, dann beginnt der Kopf zu rattern», sagt sie scheu lächelnd. Heute weiss man: Die Mörder kamen aus dem benachbarten Kraj, einer Art Kanton.

Ist das Dorf paranoid geworden?

Ammann Lancz bekommt sogar Anrufe von besorgten Bewohnern, wenn sie solche Wagen im Dorf sehen. Zu den 30 Kameras, die seit zehn Jahren das Dorf im Auge haben, hat Lancz jetzt weitere zehn dazugestellt. Ist Velka Maca nach dem Mord paranoid geworden? «Nein, die Leute sind nur aufmerksamer geworden», entgegnet Lancz.

Selber wollen die Dorfbewohner aber keine Aufmerksamkeit. Bitte kein Foto! Man habe zu alldem auch gar nichts zu sagen. Schliesslich habe man Jan Kuciak und seine Verlobte ja auch nicht wirklich gekannt, allenfalls mal auf dem Gemeindeamt, im Laden, auf der Strasse oder in der Kirche getroffen.

Anders Anka Farkaskova (76). Sie wohnt am Dorfrand, schräg gegenüber vom Häuschen, in dem Jan Kuciak und seine Verlobte erschossen wurden. Die beiden waren erst im Sommer 2017 ins Dorf gezogen. Fast wie eine stolze Grossmutter spricht Farkaskova von den beiden, davon, wie Kusnirova ihr einen Korb voll Tomaten brachte, später noch Peperoni, und wie sie selbst dann im Gegenzug die beiden mit Kuchen und anderem Selbstgebackenem ver- und umsorgte. Das wollte sie auch am Freitag, 23. Februar 2018 tun. Sie wollte frische salzige Krapfen über die Strasse tragen. «Aber es war schon spät. Also bin ich nicht rübergegangen. Ich wäre die erste Person gewesen, die die beiden tot gesehen hätte», sagt sie mit leiser Stimme.

Die Nachbarin, die sich um alles kümmert

Damals, als die beiden noch lebten und ihr Häuschen renovierten, habe Farkaskova von ihrem Schlafzimmerfenster aus gesehen, wie abends noch Licht brannte, als Kuciak bis spät noch an Artikeln tippte oder wie er die Wände strich. «Jan fragte mich, ob mir die Wandfarbe gefallen würde», sagt Farkaskova. Heute sieht sie gegenüber einen mit Gelb geschriebenen Satz auf dem Tor: «Liebe ist stärker als dunkle Mächte». Daneben an der Mauer: Kränze, Kerzen, Fotos.

Jeden Morgen und manchmal noch nachmittags kümmert sich Farkaskova um sie. Es gibt viel zu tun. Allein 28 Lichtlein. Viele davon jetzt elektrisch, weil die Wachskerzen so grosse Flecken auf dem Boden hinterlassen hatten. Ab und zu fährt sie mit dem Velo in den Ort, um Batterien zu kaufen. Es ist anstrengend. Warum sie all das mache? «Weil ich sie mochte», sagt sie mit einer Selbstverständlichkeit, die verlegen macht.

Mit ihren zarten, faltigen Fingern, die aus ihren blauen Anorakärmeln herausschauen, prüft Farkaskova eine Schnur, mit der sie einen Kranz mit Plastikblumen an der Mauer befestigt hat. Farkaskova ist zufrieden: Auch das laminierte Foto hält. Manche Löcher in der Wand hat sie mit Zeitungspapier und Aluminiumfolie ausgestopft. Gegen den Wind. Vielleicht war er es auch, der das gläserne Engelchen umgestossen hat. Sie richtet es behutsam auf. Es hat nur noch einen Flügel.

Wie es ihr damit gehe, jeden Tag auf diesen Ort zu blicken? Farkaskovas gütiger Blick hinter ihren Brillengläsern wird traurig: «Ich weine fast jeden Abend.»

Der Fall

Velka Maca (Slowakei) – Der slowakische Journalist Jan Kuciak wurde am 21. Februar 2018 mit seiner Verlobten Martina Kusnirova ermordet. Kuciak hatte in einer Recherche Mafia-Verbindungen ins Büro des Regierungschefs nachgewiesen. Die Bluttat brachten so viele Menschen auf die Strasse wie seit der Samtenen Revolution 1989 nicht mehr. In der Folge traten Regierungschef Robert Fico und auch andere Politiker zurück. Auch der Polizeiapparat wurde umgebaut. Im September 2018 wurden vier Verdächtige verhaftet.

Velka Maca (Slowakei) – Der slowakische Journalist Jan Kuciak wurde am 21. Februar 2018 mit seiner Verlobten Martina Kusnirova ermordet. Kuciak hatte in einer Recherche Mafia-Verbindungen ins Büro des Regierungschefs nachgewiesen. Die Bluttat brachten so viele Menschen auf die Strasse wie seit der Samtenen Revolution 1989 nicht mehr. In der Folge traten Regierungschef Robert Fico und auch andere Politiker zurück. Auch der Polizeiapparat wurde umgebaut. Im September 2018 wurden vier Verdächtige verhaftet.

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