CSU-Legende Peter Gauweiler (69) über die Brandherde des Kontinents
«Europa muss so glücklich werden wie die Schweiz»

Der ehemalige CSU-Minister Peter Gauweiler schaut neidisch auf die Schweiz. Im Interview mit BLICK sagt der Ziehsohn von Franz Josef Strauss, wo die EU von der Schweiz lernen müsste und warum ihn die österreichische Staatskrise und der Brexit ziemlich kalt lassen.
Publiziert: 24.05.2019 um 23:21 Uhr
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Aktualisiert: 25.05.2019 um 13:09 Uhr
Interview: Guido Felder

Herr Gauweiler, Brexit-Chaos, Gewalt der Gelbwesten, und nun auch noch Staatskrise in Österreich: Was ist los in Europa?
Man nennt es Demokratie. Meinung und Gegenmeinung. Skandal und Aufklärung. Alte Regierung geht, neue Regierung kommt. 
 
Finden Sie das denn normal?
Das hat es schon immer gegeben. Auch im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf gab es heimlich aufgenommene Videos, die zu heftigen Diskussionen geführt haben.

Für Österreich ist das Ibiza-Video ein Schock. Wie konnte es dazu kommen?
Sie müssen die Beteiligten fragen, ob sie den Verstand verloren haben. Aber die Reaktionen waren richtig: Die Betroffenen sind umgehend zurückgetreten, und die Regierung hat Neuwahlen ausgeschrieben. Es hat etwas Bereinigendes. 

Wer könnte dahinter stecken?
Da werden noch viele Bücher und Theaterstücke darüber geschrieben werden. Auch Netflix soll sich die Rechte schon gesichert haben… Mehr weiss ich nicht.

Kanzler Sebastian Kurz muss sich am Montag dem Misstrauensantrag stellen. Soll er des Amtes enthoben werden?
Schon im Herbst sind Neuwahlen, wo die Österreicher die Weichen stellen können. Wenn Kurz nun im Amt bleibt, trägt das zur Beruhigung der Situation bei. 

Wie schätzen sie
Kurz’ Arbeit ein?
Er ist erfolgreich, etwa in der Steuerpolitik. Die Regierung war auf keinem schlechten Weg. 

Auch in Grossbritannien herrscht Krisenstimmung. Warum sind die Briten beim Thema Brexit so zerstritten?
Die Briten waren schon immer mit grossen Meinungsverschiedenheiten belastet in Sachen EWG, EG und EU. In ihrer Brust schlagen zwei Herzen. 

Wie konnte es soweit kommen, dass die Briten die EU überhaupt verlassen wollen?
Der ehemalige Premierminister Winston Churchill sagte einmal, wenn die Briten vor der Wahl zwischen Meer oder Kontinent stehen würden, müsste man sich immer für das Meer entscheiden. Sie glauben, dass ihre Kritik an der EU zu wenig ernst genommen worden ist. 

Hat die EU Fehler gemacht?
Die Vertiefung und gleichzeitige Ausdehnung der EU hat die Kräfte der Beteiligten überfordert. 

Wie fänden die Briten aus der Sackgasse?
Sie haben sich für den Austritt entschieden, und das müssen sie nun durchziehen. Der Weg ins Freie ist der Weg aus der Sackgasse. 

Dieses Wochenende sind EU-Wahlen. In welche Richtung muss sich die EU bewegen?
Weniger ist mehr. Das heisst, mehr Kompetenzen nach unten. Die Schweiz ist ja ein gutes Vorbild, wie man durch Deregulierung, kantonale Kompetenzverteilung und Einbezug der Gemeinden erfolgreich sein kann. Die Brüsseler können sich mehrere Scheiben von der Schweiz abschneiden. 

Sie referierten in Zürich zum Thema «Europa als die Schweiz der Welt». Was meinen Sie damit?
Es war Churchill, der bei seiner grossen Europarede am 19. September 1946 in Zürich einen Satz sagte, der um die Welt ging, nämlich, dass wir eine Art Vereinigte Staaten von Europa bräuchten. Was nicht so bekannt ist: Er hat auch gesagt, dass er diese Vereinigten Staaten von Europa als Mittel zu einem besonderen Zweck ansah: «glücklich zu werden wie die Schweiz». 

Was macht denn das Glück der Schweiz aus?
Es ist der Zustand des weniger Parteipolitisierens, der organisierten Volksabstimmung, der Dezentralität sowie die Grundlage, dem andern nicht immer den eigenen Willen aufzuzwingen. 

Oft wird gesagt, dass eine zu direkte Demokratie negativ sei. 
Die Schweiz macht es ganz interessant: Kippt das Boot nach rechts, setzen sie sich nach links und umgekehrt. Das Schweizer Volk hat über Generationen Erfahrung, Volksabstimmungen nicht als populistische Sensation, sondern als Business as usual zu vollziehen. 

Könnten die EU oder andere Länder von der Schweiz profitieren?
Auf jeden Fall. Der neue ukrainische Präsident, Wolodimir Selenski, hat ja in seiner Antrittsrede über die Vielfalt der Kulturen in seinem Land geredet und dabei seine Landsleute ausdrücklich aufgefordert: Nehmt Euch ein Beispiel an der Schweiz! 

Finden Sie es richtig, dass die Schweiz nicht der EU beigetreten ist?
Ich hätte 1992 genauso abgestimmt.

Strauss-Ziehsohn

Peter Gauweiler (69) ist eine legendäre Figur der bayerischen CSU. Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen, Bundestagsabgeordneter, stv. Parteivorsitzender: Der Münchner, dessen Mentor der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauss (†73) war, hat eine Vielzahl von politischen Stationen durchlaufen und sich auch mit Europapolitik befasst. Als Rechtsanwalt hatte er eine Reihe lukrativer Mandate. So verklagte er unter anderem mehrfach die Deutsche Bank sowie für Katar den Ex-Präsidenten des Deutschen Fussball-Bundes, Theo Zwanziger. Aus Streit über die Europapolitik trat er 2015 von seinen politischen Ämtern zurück. Gauweiler ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Am Donnerstag referierte er am Europa Institut in Zürich zum Thema «Europa als die Schweiz der Welt».

Peter Gauweiler (69) ist eine legendäre Figur der bayerischen CSU. Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen, Bundestagsabgeordneter, stv. Parteivorsitzender: Der Münchner, dessen Mentor der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauss (†73) war, hat eine Vielzahl von politischen Stationen durchlaufen und sich auch mit Europapolitik befasst. Als Rechtsanwalt hatte er eine Reihe lukrativer Mandate. So verklagte er unter anderem mehrfach die Deutsche Bank sowie für Katar den Ex-Präsidenten des Deutschen Fussball-Bundes, Theo Zwanziger. Aus Streit über die Europapolitik trat er 2015 von seinen politischen Ämtern zurück. Gauweiler ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Am Donnerstag referierte er am Europa Institut in Zürich zum Thema «Europa als die Schweiz der Welt».

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Foto: Siggi Bucher
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