Corona-Zahlen so hoch wie nie
Wie lange hält China seine Null-Covid-Strategie durch?

Nach zwei Jahren Pandemie versuchen die meisten Länder, mit dem Coronavirus zu leben. China hingegen hält bisher an seiner Null-Covid-Strategie fest. Die Omikron-Variante könnte das Land nun zu einem Kurswechsel zwingen.
Publiziert: 21.03.2022 um 19:22 Uhr
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Aktualisiert: 23.03.2022 um 11:25 Uhr

Die chinesische Mauer bröckelt. Mit einer rigorosen Null-Covid-Strategie hielt die Regierung in Peking das Coronavirus in den vergangenen zwei Jahren in Schach. Schnelle Lockdowns und rigorose Einschränkungen bremsten die Ansteckungszahlen. Während grosse Teile der Welt mit Infektionswellen und Spitalüberlastungen kämpfte, erklärte Präsident Xi Jinping (68) den chinesischen Weg zum Erfolgsmodell. Und zumindest die offiziellen Zahlen schienen ihm recht zu geben – grosse Virusausbrüche blieben aus.

Inzwischen hat der Wind gedreht. Erste Anzeichen dafür, dass die Null-Covid-Strategie an ihre Grenzen zu kommen drohte, gab es bereits im vergangenen Jahr, als die infektiösere Delta-Variante immer weiträumigere Lockdowns verlangte. Die noch ansteckendere Omikron-Variante wirft nun erst recht die Frage auf, wie lange China an seinem Kurs festhalten kann.

Erste Corona-Tote seit einem Jahr

Das chinesische Festland sieht sich gegenwärtig mit dem schlimmsten Corona-Ausbruch seit dem Herbst 2019 konfrontiert, als das Virus in der Stadt Wuhan erstmals auftrat. Landesweit werden täglich mehr als 4000 Neuinfektionen gemeldet – und das sind nur die offiziellen Zahlen. Am Samstag verzeichnete China zudem die ersten offiziellen Corona-Todesfälle seit mehr als einem Jahr. Mehrere Millionen Menschen befinden sich im Lockdown – Städte haben vollständige oder teilweise Ausgangssperren verhängt. Unter anderem sind Millionenmetropolen wie Changchun, Shanghai, Shenzhen und Tangshan nahe Peking betroffen.

In China steigen die Corona-Infektionszahlen trotz Null-Covid-Strategie an. Im Bild ein Testzentrum in Changchun.
Foto: DUKAS
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In der Stadt Jilin im Nordosten des Landes dürfen 4,5 Millionen Einwohner ab Montagabend ihre Häuser drei Tage lang nicht mehr verlassen. Zudem arbeiten die Behörden am Ausbau der Krankenhaus-Kapazitäten, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Allein in der Provinz Jilin wurden acht provisorische Spitäler und zwei Quarantänezentren errichtet.

In Hongkong ist die Strategie gescheitert

In der Sonderverwaltungszone Hongkong, wo die Zahlen unabhängig vom Festland erhoben werden, ist die Null-Covid-Strategie bereits gescheitert. In der Stadt, die bisher von der Pandemie weitgehend verschont wurde, gibt es inzwischen rund 30'000 Fälle und über 200 Todesfälle pro Tag. Wie die BBC berichtet, ist das Gesundheitssystem völlig überlastet. Es gibt Bilder von Menschen, die dringend Spitalpflege benötigen, aber ausserhalb von medizinischen Einrichtungen notdürftig gepflegt werden. Das ist eine Situation, wie sie China seit zwei Jahren nicht mehr erlebt hat.

Die Regierung hält trotz alledem offiziell an ihrer Null-Covid-Strategie fest. Gleichzeitig wachsen die Zweifel, ob die strikten Massnahmen mitsamt ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen noch zu halten sind. Beobachter stellen zudem bereits eine schrittweise Abkehr von der harten Linie fest. «Im Rahmen einer dynamischeren Politik wird mehr Gewicht darauf gelegt werden, ein Gleichgewicht zwischen der Bekämpfung von Krankheiten und der Ermöglichung eines normalen Lebens zu finden», sagt er Politikwissenschaftler Chen Gang von der Universität Singapur laut BBC.

«Nachhaltigere Bewältigungsstrategie»

In einem ersten Schritt hat die Nationale Gesundheitskommission Chinas erklärt, dass sie ihre Vorschriften dahingehend ändern werde, dass leichte Fälle nicht mehr hospitalisiert werden müssen. Der führende chinesische Epidemiologe Zhang Wenhong (52) schrieb zudem in den sozialen Medien, China müsse seine rigide Strategie zwar vorerst beibehalten, dürfe aber nicht davor zurückschrecken, in Zukunft zu einer «nachhaltigeren Bewältigungsstrategie» überzugehen.

«Bei diesem Virus ist die Verringerung der Angst der erste Schritt, den wir tun müssen», schrieb Zhang. «Omikron ist so mild geworden, dass es in Ländern, in denen eine weit verbreitete Impfung und natürliche Infektionsraten erreicht wurden, weniger tödlich sein könnte als die Grippe.» Dass die Aussage des Wissenschaftlers mehrheitlich auf positive Resonanz stiess, zeigt, dass in China allmählich ein Umdenken stattfindet. Letztes Jahr war Zhang noch als Verräter beschimpft worden, als er gesagt hatte, dass das Land mittelfristig mit dem Virus «koexistieren» müsse.

Ein rascher Kurswechsel der Regierung ist dennoch nicht zu erwarten, die Anpassungen dürften eher in kleinen Schritten passieren. «Der Sieg kommt von der Beharrlichkeit», sagte Präsident Xi Jinping letzte Woche in einer Sitzung des Politbüros zur Corona-Politik. Der Staatschef dürfte beim grossen Parteitag Ende Jahr eine dritte Amtszeit anstreben – und bis dahin auf grundlegende Änderungen seine Politik möglichst verzichten. (sst)

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