Bundespräsident Steinmeier trifft SPD-Chef Schulz
Kommt die grosse Koalition doch noch?

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen zum wichtigsten Mann im Land avanciert: Nur er kann jetzt noch Neuwahlen und damit Instabilität verhindern. Wer ist dieser Mann, der lange im Schatten der anderen stand?
Publiziert: 23.11.2017 um 15:48 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:49 Uhr
René Lüchinger

Dieses Bild sagt mehr als tausend Worte: Frank-Walter Steinmeier, deutscher Bundespräsident sitzt an einem runden Holztischchen in seinem Amtszimmer auf Schloss Bellevue in Berlin. Die Pose staatsmännisch, die Arme erklärend ausgefahren. Vor ihm sitzt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Versunken im Sessel.

Die Szenerie erinnert an einen Lehrer, der einer Schülerin ins Gewissen redet. Geschossen wurde das Bild vergangenen Montag, als Steinmeier nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche die Regierungschefin zu sich gebeten hatte.

Seither redet der Bundespräsident dem politischen Spitzenpersonal im Land reihenweise ins Gewissen: Die Grünen-Vorsitzenden hockten schon an diesem Holztischchen, ebenso die Chefs von FDP und CSU. Und heute ist als Letzter in diesem Umzug der SPD-Vorsitzende Martin Schulz vorgeladen.

Die Szenerie erinnert an einen Lehrer, der einer Schülerin ins Gewissen redet. Angela Merken und Frank-Walter Steinmeier nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche.
Foto: AP

Kneifen gilt nicht! Steinmeier redet allen ins Gewissen 

Die Botschaft Steinmeiers ist immer die gleiche: Die Wählerinnen und Wähler haben an der letzten Bundestagswahl den Gewählten einen Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Kneifen gilt jetzt nicht und Neuwahlen wären eine schlechte Lösung. Ganz besonders eindringlich wird dies wohl Schulz zu hören bekommen. Der SPD-Mann hatte bislang eine grosse Koalition mit Merkels CDU kategorisch ausgeschlossen. Nun erscheint dies plötzlich der einzige Weg, das Patt im Lande zu überwinden und die Regierungsfähigkeit zu erhalten.

Heute spricht SPD-Mann Martin Schulz mit Frank-Walter Steinmeier. Schulz hatte bislang eine Grosse Koalition mit Merkels CDU kategorisch ausgeschlossen. Wendet sich jetzt das Blatt?
Foto: AP

Und mittendrin steht plötzlich Steinmeier als fast letzter Garant für Stabilität in diesen nervösen Zeiten in Berlin. Die ersten acht Monate seiner Bundespräsidentschaft verliefen betulich, angefüllt mit den in diesem Amt üblichen Repräsentationspflichten und fast etwas im Schatten der omnipräsenten Dauerkanzlerin Merkel. Jetzt ist es plötzlich umgekehrt, und das ist typisch für die Politkarriere dieses Mannes: Lange verharrte er im Schatten anderer, um dann mit der richtigen Intuition zum Sprung ins Scheinwerferlicht anzusetzen.

Ein Mann für die «Hinterzimmer und Maschinenräume der Macht»

Diese Karriere begann im April 1991 in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover – der damals 35-jährige Jurist hatte einen Vorstellungstermin beim dortigen Ministerpräsidenten. Einer, der damals dabei war, schilderte die Szene: wie Steinmeier im brombeerfarbenen Anzug und grüner Brille vorsprach, vom Ministerpräsidenten von oben bis unten gemustert und dann mit den Worten «Sie passen zu uns!» eingestellt wurde.

Der Ministerpräsident war der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder. Diesem folgte Steinmeier von Hannover nach Bonn, dann nach Berlin, wo er als Chef des Bundeskanzleramts «in den Hinterzimmern und Maschinenräumen der Macht» arbeitete, wie sein Biograf urteilt und Schröder etwa beim Reformprojekt «Agenda 2010» assistierte.

Mittendrin steht Bundespräsident Steinmeier als fast letzter Garant für Stabilität in diesen nervösen Zeiten in Berlin.
Foto: Reuters

Sichert er das Überleben von Angela Merkel?

Von der einflussreichen Nebenrolle im Schatten Schröders in eine Hauptrolle im Scheinwerferlicht wechselte Steinmeier erst, als dessen Kanzlerschaft beendet war. Er war Aussenminister in zwei von Merkels Kabinetten, zeitweiliger Vizekanzler und Kanzlerkandidat der SPD. Als Chef des Auswärtigen Amtes war er auf der ganz grossen Bühne angekommen – neben der Kanzlerin ist dies der wichtigste Job in Berlin.

Harte Worte der «Bild»-Zeitung. Die Volksvertreter sollen sich zusammenraufen und ihren Auftrag erfüllen.
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Und nun, wo politische Krise herrscht, wird Steinmeier als Bundespräsident zumindest zeitweilig noch vor der Kanzlerin zur wichtigsten Figur im Land. Bringt er heute den renitenten Martin Schulz dazu, seine Partei in eine grosse Koalition zu führen, würde dies auch das politische Überleben von Angela Merkel sichern. Und die Chancen stehen nicht schlecht: Auch der bei der letzten Bundestagswahl gescheiterte Kanzlerkandidat Schulz bangt um seine politische Zukunft.

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