Christian Dorer trifft Premierminister Stefan Yanev
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Blick-Buch als Geschenk:Christian Dorer trifft Premierminister Stefan Yanev

Bulgariens Premier Yanev über die Kohäsionsmilliarde
«Das Schweizer Geld hilft uns sehr»

Der bulgarische Premierminister Stefan Yanev (61) spricht über die Kohäsionsmilliarde der Schweiz, den Streit mit der EU, Bulgariens Probleme mit Korruption und dessen schrumpfende Bevölkerungszahl.
Publiziert: 05.07.2021 um 01:21 Uhr
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Aktualisiert: 05.07.2021 um 06:50 Uhr
  • «Die osteuropäischen Staaten brauchen weitere Unterstützung, um Infrastruktur und Investitionsumfeld zu verbessern»
  • «Auch Bulgarien profitiert vom Schweizer Kohäsionsgeld»
  • «Eine Lösung zwischen der Schweiz und der EU ist möglich und wünschenswert»
  • «In Bulgarien sitzen weder Politiker noch Geschäftsleute wegen Korruption im Gefängnis, obwohl manche es verdient hätten»
  • «Bulgarien verliert viele Talente, was sehr beunruhigend ist»
  • «Die Vereinigten Staaten von Europa sind nicht machbar, auch wenn es viele Bulgarinnen und Bulgaren gerne anders hätten»
Interview: Christian Dorer

Bulgarien ist das ärmste und korrupteste Land der EU, die Bevölkerungszahl schrumpft, weil viele ihr Glück im Ausland suchen. Bulgarien profitiert von der Schweizer Kohäsionsmilliarde und hat als eines der 27 EU-Länder ebenso viel wie alle anderen Mitglieder darüber mitzureden, wie es nach dem Aus für das Rahmenabkommen weitergeht. Blick traf Premierminster Stefan Yanev (61) in seinem pompösen Büro mitten in Sofia – das palastähnliche Gebäude ist ein Relikt aus der Sowjetzeit. Yanew war Brigadegeneral und führt das Land übergangsmässig bis zu den nächsten Wahlen. Er ist neutral, direkt und präzis, wie ein General eben.

Blick: Sie waren General und sind heute Politiker. Was ist der Unterschied?
Stefan Yanev: Im Militär gelten klare Regeln. Als General konnte ich befehlen. In der Politik muss ich die Menschen mit Argumenten gewinnen, und das muss auch so sein.

Warum ist Bulgarien das korrupteste Land der EU?
Leider haben Sie recht. Gerade vor ein paar Wochen hat die US-Regierung bestimmte Personen und Unternehmen in Bulgarien sanktioniert – ein weiterer Beweis dafür, dass die Dinge nicht gut laufen. Die Menschen sind sich bewusst, dass Korruption seit Jahren ein grosses Problem ist. Was der Grund ist? Viele Politiker unternehmen nichts dagegen, und selbst wenn die Medien Missstände aufdecken, wird die Staatsanwaltschaft oft nicht aktiv. In Bulgarien sitzen weder Politiker noch Geschäftsleute wegen Korruption im Gefängnis, obwohl manche es verdient hätten.

Christian Dorer (l.), Chefredaktor der Blick-Gruppe, interviewt den bulgarischen Premierminister Stefan Yanev in der Hauptstadt Sofia.
Foto: Sportal
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Was muss sich ändern?
Zwei Dinge. Erstens braucht es die klare Botschaft der Wählerinnen und Wähler, dass sie Menschen in der Politik wollen, die nicht auf ihren persönlichen Gewinn fokussiert sind. Zweitens braucht es Gesetzesreformen, damit Staatsanwaltschaften und Gerichte effektiver arbeiten können.

Was tun Sie als Premierminister?
Meine geschäftsführende Regierung hat in erster Linie den Auftrag, die nächsten Wahlen zu organisieren und das Land gut zu führen. Es ist schwierig für mich, in der kurzen Zeit etwas Bedeutendes beizutragen. Ich versuche, in meinen Reden die Menschen zu überzeugen, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen.

Sind die Fördergelder der EU kontraproduktiv, weil sie das korrupte System speisen?
Für dieses Geld sind wir sehr dankbar. Anfangs dachten die Bulgaren, dass sich die Europäer darum kümmern werden, wie das Geld eingesetzt wird. Dann stellte sich heraus, dass jedes Land selbst dafür verantwortlich ist. Tatsächlich sind heute viele der Ansicht, dass das europäische Geld nicht auf gute Weise ausgegeben wurde und es zu Korruption kam.

«Die Vereinigten Staaten von Europa sind nicht machbar»
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Das Interview auf Englisch:«Die Vereinigten Staaten von Europa sind nicht machbar»

Wäre es nicht Sache der EU, dafür zu sorgen, dass ihr Geld nicht in der Korruption landet?
Das ist kein Problem, das die EU lösen kann. Wir müssen selber dafür sorgen, dass unsere Systeme richtig funktionieren.

Bulgarien zählte in den 1980er-Jahren neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, jetzt sind es sieben und bis in dreissig Jahren noch gut fünf. Warum schrumpft Ihr Land?
Viele suchen im Ausland einen besseren Job. Bulgarien verliert viele Talente, was sehr beunruhigend ist. Wir müssen die Wirtschaft wieder aufbauen, so dass wir bessere Gehälter zahlen können. Immerhin läuft die IT-Branche sehr gut, es gibt viele Start-ups in diesem Bereich. Allerdings wächst dieser Sektor so stark, dass es in ein paar Jahren zu wenige Fachkräfte geben wird.

Haben EU-Beitritt und Personenfreizügigkeit den Trend zum Auswandern verstärkt?
Bis zu einem gewissen Grad bestimmt. Viele Bulgaren gingen auf der Suche nach einer besseren Arbeit nach Europa. Deshalb müssen wir Unternehmen darin unterstützen, ihr Geld so zu investieren, dass bessere und mehr Arbeitsplätze im Land entstehen. Die Politiker müssen sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen konzentrieren.

Bulgarische Ärzte wandern nach Deutschland aus, deutsche Ärzte in die Schweiz – vielen Dank, dass Sie die Ausbildung unserer Mediziner finanzieren!
Willkommen in der freien Wirtschaft! So ist das nun mal. Das Durchschnittsalter der Krankenschwestern im Norden Bulgariens steigt stetig. Sie müssen nach ihrer Pensionierung weiterarbeiten, weil die jungen auswandern.

Müsste die Schweiz für gut ausgebildete Arbeitskräfte bezahlen?
Nein. Es sei denn, es gäbe ein bilaterales Abkommen, das dies so vorsehen würde. Es ist in Ordnung, wenn junge Menschen ein paar Jahre im Ausland verbringen. Wir müssen aber bessere Bedingungen schaffen, damit diese Personen wieder zurückkehren und hier eine Familie gründen wollen.

Wie wichtig war die erste Kohäsionsmilliarde, welche die Schweiz für die neuen EU-Länder Osteuropas und damit auch an Bulgarien bezahlt hat?
Die Schweiz ist von der EU umgeben und arbeitet eng mit ihr zusammen. Sie hat mit dem Kohäsionsgeld die europäische Idee unterstützt. Die neuen Mitglieder haben davon profitiert – auch Bulgarien mit knapp 80 Millionen Euro. Dieses Geld wurde in ein Programm für die Entwicklung verschiedener Zweige der Wirtschaft und in das duale Bildungssystem investiert.

Unser Parlament berät über eine weitere Kohäsionszahlung, was allerdings umstritten ist. Verstehen Sie die kritischen Stimmen?
Es gibt in jedem Land kritische Stimmen. Sicher ist, dass die osteuropäischen Staaten weitere Unterstützung brauchen, um Infrastruktur und Investitionsumfeld zu verbessern. Das Schweizer Geld hilft uns sehr, aber natürlich müssen wir es sinnvoll nutzen.

Werden Sie unser Land nach dem Aus für das Rahmenabkommen unterstützen, damit es mit der EU eine Lösung gibt?
Das ist eine heikle Frage. Natürlich habe ich Kenntnis vom Verhandlungsabbruch. Beide Parteien haben ihre Sicht auf das Rahmenabkommen. Eine Lösung ist möglich und wünschenswert, sie muss einfach die Interessen beider Seiten berücksichtigen.

Wohin soll sich die EU entwickeln: in Richtung mehr Autonomie für jedes Land oder in Richtung Vereinigte Staaten von Europa?
Die Vereinigten Staaten von Europa sind nicht machbar, auch wenn es viele Bulgarinnen und Bulgaren gerne anders hätten. Sie wünschen sich, dass das bulgarische Parlament von aussen besser überwacht würde. Doch das wird nicht passieren. Es bräuchte eine gemeinsame europäische Armee und dafür eine gemeinsame Gesetzgebung. Eine unmögliche Mission!

Sind nicht einfach die Werte zu verschieden? Aktuelles Beispiel: das neue ungarische Anti-Homosexuellen-Gesetz von Viktor Orban. Wie stehen Sie dazu?
Orban macht vermutlich das, was das ungarische Volk von ihm will. Bulgarien ist ein tolerantes Land: Hier kann jeder so leben, wie er will. Allerdings finde ich, dass man private Dinge nicht immer nach aussen tragen muss.

Zur Person

Stefan Yanev (61) hat eine Offizierskarriere in der bulgarischen Armee hinter sich und ist seit Mai Premierminister – allerdings nur auf Zeit, weil nach den Wahlen keine Partei eine Regierung bilden konnte. Yanev hat den Auftrag, am 11. Juli faire Neuwahlen durchzuführen. Der vormalige Brigadegeneral war bereits in der Übergangsregierung 2017 stellvertretender Regierungschef und Verteidigungsminister. Yanev ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Stefan Yanev (61) hat eine Offizierskarriere in der bulgarischen Armee hinter sich und ist seit Mai Premierminister – allerdings nur auf Zeit, weil nach den Wahlen keine Partei eine Regierung bilden konnte. Yanev hat den Auftrag, am 11. Juli faire Neuwahlen durchzuführen. Der vormalige Brigadegeneral war bereits in der Übergangsregierung 2017 stellvertretender Regierungschef und Verteidigungsminister. Yanev ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

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