Johnson und Varadkar kommen einer Lösung näher
EU-Staaten geben grünes Licht für weitere Brexit-Verhandlungen

Nach unerwarteten Fortschritten im Brexit-Streit sieht die Europäische Union (EU) neue Einigungschancen und startet eine weitere intensive Verhandlungsrunde mit Grossbritannien. Dies bestätigten Diplomaten am Freitag den Nachrichtenagenturen DPA und AFP in Brüssel.
Publiziert: 11.10.2019 um 14:53 Uhr
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Aktualisiert: 11.10.2019 um 16:15 Uhr

Die Ankündigung nährt neue Hoffnung, dass noch ein geregelter Austritt Grossbritanniens gelingt. Gesucht wird eine Lösung bis zum EU-Gipfel Ende nächster Woche.

EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte, zwar fehlten immer noch umsetzbare und realistische Vorschläge aus Grossbritannien. Doch gebe es «vielversprechende Signale» aus Irland. «Selbst die kleinste Chance muss genutzt werden», schrieb Tusk auf Twitter.

Neue Verhandlungsrunde kann starten

Zuvor hatte EU-Unterhändler Michel Barnier am Freitagvormittag ein «konstruktives Gespräch» mit dem britischen Brexit-Minister Stephen Barclay geführt, wie beide Seiten mitteilten. Die 27 bleibenden EU-Staaten gaben anschliessend grünes Licht für neue Verhandlungen.

Gemäss EU-Diplomaten haben EU-Chefunterhändler Michel Barnier und der britische Brexit-Minister Stephen Barclay am Freitagvormittag in Brüssel ein «konstruktives Gespräch» geführt.
Foto: FRANCISCO SECO / POOL
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Am Donnerstag waren der britische Regierungschef Boris Johnson und sein irischer Kollege Leo Varadkar überraschend einer Lösung näher gekommen.

Brexit-Scheitern ist immer noch möglich

Ein Deal bis zum Austrittsdatum 31. Oktober sei noch möglich, sagte Varadkar nach einem mehr als zweistündigen Gespräch mit Johnson in der Nähe von Liverpool. Zugleich wies er aber darauf hin, dass noch immer etwas schiefgehen könnte.

Tusk wollte nach eigenen Worten eine Einigung öffentlich für unmöglich erklären, wenn bis zu diesem Freitag keine machbaren britischen Vorschläge vorlägen.

Johnson könnte mit Varadkar zu einer Einigung kommen

Stattdessen verwies der EU-Ratspräsident nun darauf, dass Johnson und Varadkar selbst erstmals den Weg zu einem Deal erkennen könnten. Es gebe natürlich keine Erfolgsgarantie, aber die Chance müsse genutzt werden.

Die irische Einschätzung ist wichtig für die gesamte EU. Denn der entscheidende Knackpunkt ist die Frage, wie die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Nachbarn Irland offen gehalten werden kann.

Gibt es bis 19. Oktober keinen Deal, ist Johnson nach einem britischen Gesetz gehalten, bei der EU eine längere Austrittsfrist zu beantragen. Der Premier hat allerdings immer wieder angekündigt, sein Land zum 31. Oktober notfalls auch ohne Vertrag aus der EU zu führen.

Worüber Johnson und Varadkar im Einzelnen gesprochen haben, war zunächst nicht offiziell bekannt. Doch sickerten Informationen über eine neue mögliche Formel für die irische Grenzfrage durch.

Zoff um Backstop

Die EU will eine feste Grenze mit Kontrollposten auf der irischen Insel vermeiden, weil neue Unruhe in dem ehemaligen Bürgerkriegsgebiet befürchtet wird. Gleichzeitig will die EU verhindern, dass unkontrolliert und unverzollt Waren über die neue EU-Aussengrenze in den Binnenmarkt strömen.

Johnson hatte bereits angeboten, dass Nordirland sich auch nach dem Brexit an EU-Produktstandards hält, was Warenkontrollen an der inner-irischen Grenze unnötig machen würde.

Nun steht nach britischen Medienberichten eine spezielle Zollpartnerschaft für Nordirland zur Debatte, die auch Zollkontrollen vermeiden könnte.

Brexit-Sondersitzung möglich

Das britische Unterhaus könnte am 19. Oktober zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Ob Johnson für einen etwaigen Brexit-Deal mit einer Mehrheit rechnen kann, ist jedoch unklar. Denn seit dem Rauswurf von 21 No-Deal-Gegnern aus seiner Fraktion ist er nicht nur auf die nordirisch-protestantischen DUP, sondern auch auf erhebliche Hilfe aus der Opposition angewiesen. (SDA)

Brexit-News

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

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Was ist der Backstop?

Das ursprüngliche Abkommen sieht für Nordirland eine spezielle Zollunion mit der EU vor. Damit sollte eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindert werden. Sollte vor dem Austritt Grossbrittaniens aus der EU am 29. März kein Vertrag zustande, kommt der sogenannte Backstop zum Zug.

Die Übergangsmassnahme soll eine harte Grenze auf der Insel verhindern, indem Nordirland teil des EU-Binnenmarktes bliebe.

Doch vor allem dieser Backstop stösst bei Unionisten und Konservativen in England auf Widerstand. Denn mit einem Backstop verliefe die EU-Aussengrenze zwischen Irland und Grossbritannien in der irischen See. Exporte aus England nach Nordirland wären dann nicht mehr so einfach möglich und würde der britischen Wirtschaft schaden.

Größter Streitpunkt der Brexit-Verhandlungen ist der sogenannte Backstop.

Das ursprüngliche Abkommen sieht für Nordirland eine spezielle Zollunion mit der EU vor. Damit sollte eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindert werden. Sollte vor dem Austritt Grossbrittaniens aus der EU am 29. März kein Vertrag zustande, kommt der sogenannte Backstop zum Zug.

Die Übergangsmassnahme soll eine harte Grenze auf der Insel verhindern, indem Nordirland teil des EU-Binnenmarktes bliebe.

Doch vor allem dieser Backstop stösst bei Unionisten und Konservativen in England auf Widerstand. Denn mit einem Backstop verliefe die EU-Aussengrenze zwischen Irland und Grossbritannien in der irischen See. Exporte aus England nach Nordirland wären dann nicht mehr so einfach möglich und würde der britischen Wirtschaft schaden.

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