BLICK erklärt das britische Polit-Chaos
Brexit ausser Kontrolle!

Die Ereignisse überschlagen sich in Grossbritannien. May bot am Mittwoch ihren Rücktritt unter Bedingungen an, das Parlament lehnte derweil alle Brexit-Optionen ab. Wie es jetzt weitergeht.
Publiziert: 28.03.2019 um 03:10 Uhr
|
Aktualisiert: 29.03.2019 um 09:13 Uhr
Nicola Imfeld

Das Polit-Chaos auf der Insel geht weiter. Das britische Parlament hat am Mittwoch acht Abstimmungen gegen den Willen der Regierung durchgeführt. Sämtliche Testabstimmungen («indicative votes») über alternativen Brexit-Optionen fielen mit grosser Mehrheit durch. 

Was ist am Mittwoch passiert? 

Zuerst der Paukenschlag am Abend: Theresa May bietet ihren Rücktritt unter der Bedingung an, dass ihr ausgehandelter Brexit-Deal mit der EU angenommen wird. «Ich bin bereit, mein Amt früher als geplant aufzugeben, um das zu tun, was für unser Land und unsere Partei richtig ist», sagte sie. «Aber wir müssen den Deal durchziehen und den Brexit durchführen.» 

Nur gut zwei Stunden nach Mays Rücktrittsankündigung stimmten die britischen Abgeordneten über die acht neuen Brexit-Optionen ab. Darunter waren auch Alternativen wie ein zweites Referendum oder einen No-Deal-Brexit. Keine der acht Optionen fand eine Mehrheit.

Zuerst der Paukenschlag am Abend: Theresa May bietet ihren Rücktritt unter der Bedingung an, dass ihr ausgehandelter Brexit-Deal mit der EU angenommen wird.
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Die genauen Ergebnisse finden Sie in der Box unten. 

Wie geht es weiter?

Das ist völlig offen. Parlamentssprecher John Bercow stellte am Mittwoch nochmals klar, dass er auf Basis eines Gesetzes von 1604 keine dritte Abstimmung über Mays Brexit-Abkommen zulassen werde. Einziger Ausweg wären entweder bedeutende Veränderungen oder ein Regel-Schlupfloch, dass die Regierung erst noch finden muss. 

Klar ist: Sollte das Unterhaus den Austrittsvertrag ablehnen oder gar nicht darüber abstimmen, muss Grossbritannien der EU am 12. April eine Lösung präsentieren. Bei einem Ja zu Mays Deal würde der Brexit am 22. Mai erfolgen.

Was bedeutet das für May? 

Auch ihre Zukunft ist am heutigen Donnerstagmorgen offener denn je. Was mit May geschieht, wenn ihr Deal nicht zur Abstimmung kommt, oder keinen Erfolg im Parlament hat, ist noch nicht bekannt. Ein Sprecher der Downing Street 10 sagte am Mittwochabend: «Darüber haben wir noch nicht gesprochen. Das wird man dann sehen.»

Wie stehen die Chancen bei einer dritten Abstimmung?

Besser als noch am Mittwochnachmittag. Mays Erpressungstaktik zeigte Wirkung: Mehr als 25 Brexit-Hardliner ihrer Partei wollen ihrem Abkommen nun doch zustimmen. Unter ihnen sind einflussreiche Brexit-Wortführer wie Ex-Aussenminister Boris Johnson, der noch am Dienstag im «Guardian» verkündete: «Wenn wir für den unglücklichen Deal der Ministerpräsidentin stimmen, sind wir geliefert.» Doch die Sorge vor einem Exit vom Brexit und das Rücktrittsangebot der Premierministerin haben seine Meinung geändert.

Trotzdem scheint es derzeit noch keine Mehrheit für Mays Deal zu geben. Drei Viertel von den 75 Abgeordneten der Konservativen Partei haben ihre Meinung zur Stunde laut britischen Medien noch nicht geändert. 

Wer wären die möglichen Nachfolger von May?

Es gibt mehrere Anwärter für den Parteivorsitz und damit für das Amt des Regierungschefs. Aussenminister Jeremy Hunt gilt als einer der aussichtsreichen Kandidaten. Der frühere Geschäftsmann, der fliessend Japanisch spricht, gilt als besonders belastbar. Sein Einfluss ist in den vergangenen Monaten stetig gestiegen. 

Aber auch Ex-Aussenminister und Brexit-Gallionsfigur Boris Johnson, Brexit-Wortführer Michael Gove oder Innenminister Sajid Javid sind Kandidaten.

Die Abstimmungs-Ergebnisse vom Mittwoch (27.03) im Detail

1. No Deal
Die Briten verlassen die EU ohne Deal am 12. April.

Dafür: 160
Dagegen: 400

2. Common Market 2.0
Grossbritannien soll in der Europäischen Freihandelszone und im Europäischen Wirtschaftsraum bleiben. Das ermöglicht die weitere Teilnahme am Binnenmarkt und ein «umfassendes Zollabkommen» mit der EU nach dem Brexit, das bis zum Abschluss eines umfassenderen Handelsabkommens, das einen reibungslosen Warenverkehr und eine offene Grenze in Irland gewährleistet, bestehen bleiben soll.

Dafür: 188
Dagegen: 283

3. EFTA und EEA (Norwegen-Modell)
Es ist die volle Teilnahme des Vereinigten Königreichs am Binnenmarkt via den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dem neben der EU auch die Efta-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen angehören. London würde bloss das Pferd wechseln und von der EU in die Efta zurückkehren, aus der die Briten 1973 ausgetreten waren.

Dafür: 65
Dagegen: 377

4. Zollunion (Kanada-Modell)
Erfordert eine Verpflichtung zur Aushandlung einer «permanenten und umfassenden britischen Zollunion mit der EU» in jedem Brexit-Deal.

Dafür: 254
Dagegen: 272

5. Zollunion und Angleichung an den Binnenmarkt (Labour-Plan)
Sieht eine enge Wirtschaftsbeziehung mit der EU vor. Der Plan umfasst eine umfassende Zollunion mit einer Stellungnahme des Vereinigten Königreichs zu künftigen Handelsabkommen, eine enge Abstimmung mit dem Binnenmarkt, die Anpassung an neue EU-Rechte und -Schutzmaßnahmen, die Beteiligung an EU-Agenturen und Finanzierungsprogrammen sowie eine Einigung über künftige Sicherheitsvereinbarungen, einschließlich des Zugangs zum Europäischen Haftbefehl.

Dafür: 237
Dagegen: 307

6. Abstimmung über harten Brexit

Nach diesem Plan müsste die Regierung, wenn sie ihre Austrittsvereinbarung durchbekommt, zwei Tage vor dem geplanten Austritt eine Abstimmung über einen No-Deal-Brexit durchführen. Wenn die Abgeordneten einen harten Brexit verweigern, müsste die Ministerpräsidentin den Brexit stoppen – das geht nach einem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs einseitig.

Dafür: 184
Dagegen: 293

7. Zweites Referendum
Nach diesem Plan müsste das Volk über jeden möglichen Brexit-Deal abstimmen, der vom Parlament verabschiedet wurde.

Dafür: 268
Dagegen: 295

8. Contingent preferential arrangements (mehrere Abkommen)
Die Regierung müsste versuchen, einzelne Handelsabkommen mit der EU zu schliessen, falls sie keine Mehrheit für einen richtigen Brexit-Deal bekommt.

Dafür: 139
Dagegen: 422

Fabienne Kinzelmann

1. No Deal
Die Briten verlassen die EU ohne Deal am 12. April.

Dafür: 160
Dagegen: 400

2. Common Market 2.0
Grossbritannien soll in der Europäischen Freihandelszone und im Europäischen Wirtschaftsraum bleiben. Das ermöglicht die weitere Teilnahme am Binnenmarkt und ein «umfassendes Zollabkommen» mit der EU nach dem Brexit, das bis zum Abschluss eines umfassenderen Handelsabkommens, das einen reibungslosen Warenverkehr und eine offene Grenze in Irland gewährleistet, bestehen bleiben soll.

Dafür: 188
Dagegen: 283

3. EFTA und EEA (Norwegen-Modell)
Es ist die volle Teilnahme des Vereinigten Königreichs am Binnenmarkt via den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dem neben der EU auch die Efta-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen angehören. London würde bloss das Pferd wechseln und von der EU in die Efta zurückkehren, aus der die Briten 1973 ausgetreten waren.

Dafür: 65
Dagegen: 377

4. Zollunion (Kanada-Modell)
Erfordert eine Verpflichtung zur Aushandlung einer «permanenten und umfassenden britischen Zollunion mit der EU» in jedem Brexit-Deal.

Dafür: 254
Dagegen: 272

5. Zollunion und Angleichung an den Binnenmarkt (Labour-Plan)
Sieht eine enge Wirtschaftsbeziehung mit der EU vor. Der Plan umfasst eine umfassende Zollunion mit einer Stellungnahme des Vereinigten Königreichs zu künftigen Handelsabkommen, eine enge Abstimmung mit dem Binnenmarkt, die Anpassung an neue EU-Rechte und -Schutzmaßnahmen, die Beteiligung an EU-Agenturen und Finanzierungsprogrammen sowie eine Einigung über künftige Sicherheitsvereinbarungen, einschließlich des Zugangs zum Europäischen Haftbefehl.

Dafür: 237
Dagegen: 307

6. Abstimmung über harten Brexit

Nach diesem Plan müsste die Regierung, wenn sie ihre Austrittsvereinbarung durchbekommt, zwei Tage vor dem geplanten Austritt eine Abstimmung über einen No-Deal-Brexit durchführen. Wenn die Abgeordneten einen harten Brexit verweigern, müsste die Ministerpräsidentin den Brexit stoppen – das geht nach einem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs einseitig.

Dafür: 184
Dagegen: 293

7. Zweites Referendum
Nach diesem Plan müsste das Volk über jeden möglichen Brexit-Deal abstimmen, der vom Parlament verabschiedet wurde.

Dafür: 268
Dagegen: 295

8. Contingent preferential arrangements (mehrere Abkommen)
Die Regierung müsste versuchen, einzelne Handelsabkommen mit der EU zu schliessen, falls sie keine Mehrheit für einen richtigen Brexit-Deal bekommt.

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Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seit diesem Zeitpunkt fand zwischen der EU und Grossbritannien aber auch innerhalb des Vereinigten Königreichs ein langwieriger politischer Prozess der Kompromissfindung statt. Mehrere Abgeordnete und sogar Premierminister traten aufgrund der Vertragsverhandlungen zurück. Am 31. Januar 2020 trat Grossbritannien schliesslich aus der EU aus.

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