BLICK besucht das Wahlkampf-Finale der ultrarechten Präsidentschaftskandidatin Le Pen
Müde Marine!

Es ist Endspurt im französischen Wahlkampf. Rechtsaussen-Kandidatin Marine Le Pen (48) vom Front National schwor ihre Anhänger in Marseille auf den Kampf gegen das Establishment ein.
Publiziert: 21.04.2017 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:03 Uhr
Gabi Schwegler (Text) und Grégoire Bernardi (Fotos)

Das Halbrund Dôme de Marseille im Nordosten der Hafenstadt duckt sich in den Boden. Wo schon Eric Clapton und Tina Turner spielten, tritt an diesem Mittwochabend eine Frau auf, vor der ganz Europa zittert: Marine Le Pen (48), Präsidentschaftskandidatin des rechtskonservativen Front National.

Vor dem Dôme liegen aufgereiht Betonblöcke, patrouillieren Polizisten mit Gewehren im Anschlag, stehen Einsatzwagen bereit. Am Vortag wurde in der Innenstadt ein Anschlag von zwei mutmasslichen Terroristen vereitelt. Alarmstufe Rot.

Marseille, die zweitgrösste Stadt Frankreichs, ist die letzte Station Le Pens vor dem ersten Wahlgang am Sonntag. Geht man durch die Strassen der Hafenstadt im Süden, sieht man Gesichter, die Le Pen in Frankreich nicht sehen will. Hört man Sprachen, die sie nicht hören will. Jene von Einwanderern.

In Marseille sprach Marine Le Pen (48) vor 6000 Anhängern: «Wir sehen uns im zweiten Wahlgang.»
Foto: Gregoire BERNARDI
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Sie will die Grenzen dichtmachen

Le Pen macht Wahlkampf mit ihnen. Sie will die Grenzen dichtmachen, die legale Einwanderung auf 100'00 Personen im Jahr beschränken, aus der EU und dem Schengen-Raum austreten, Moscheen schliessen, Kopftücher verbieten.

Wer ist Marine Le Pen?
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Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich:Wer ist Marine Le Pen?

Mehr als ein Viertel der gut 860'000 Einwohner Marseilles sind Muslime. Trotzdem, oder gerade deswegen: Le Pen findet in der Region bei den Wählern Anklang. 

Ein kühler Wind pfeift durch den Frühlingsabend, Dutzende Reisecars entleeren sich vor der Halle. Es entsteigen Menschen mit Fahnen, «Marine – Présidente», und Plakaten mit Le Pens Wahlslogan «Remettre la France en ordre – Wieder Ordnung schaffen in Frankreich».

«Mein Mann ist seit 40 Jahren beim Front National. Wir wollen als Franzosen unter uns sein»: Maïté Resmen (74), Antibes.
Foto: Gregoire BERNARDI

Eine blaue Fahne schwingt Maïté Resmen (74) aus Antibes. Sie sei zwar ursprünglich aus Marokko: «Aber, ganz ehrlich, wir sind einfach zu viele hier. Wir wollen Franzosen bleiben, das ist alles.» Ihre Stimme überschlägt sich vor Aufregung. Wie viele hier findet sie, es sei Zeit für eine Änderung. Zeit für Marine.

Es ist augenfällig: Der Nachname Le Pen findet in ihrem Wahlkampf nicht statt. Ein weiterer Versuch, sich von ihrem berühmten Vater, Jean-Marie (89) zu lösen. 2011 übernahm sie von ihm den Parteivorsitz, 2015 warf sie den verurteilten Holocaustleugner raus. Sie wollte weg vom rechtsextremen Image, um mehr Wähler zu gewinnen.

Ihre Chance, den zweiten Wahlkampf zu erreichen sind intakt

Bis jetzt verfängt die neue Strategie. Ihre Chancen, den zweiten Wahlgang am 7. Mai zu erreichen, sind intakt. 25 Prozent wollen für Emmanuel Macron (39, En Marche!) stimmen, 22 für Le Pen. Das zeigt eine gestern veröffentlichte Umfrage für France Télévisions. Dahinter folgen mit je 19 Prozent Jean-Luc Mélenchon (65, La France insoumise) und François Fillon (63, Les Républicains).

Um 18 Uhr öffnen sich die Gittertore vor dem Dôme. Zwei Sicherheitschecks muss passieren, wer in die Halle will. Drinnen bieten junge, lächelnde Menschen mit aufgemalter Frankreichflagge auf der Wange blinkende Schlüsselanhänger (12 Euro), Manschettenknöpfe (15 Euro) und Kugelschreiber (5 Euro) feil. 

Unter den Anhängern befinden sich viele Junge.
Foto: Gregoire BERNARDI

Knapp drei Stunden später betritt Marine Le Pen zu Ravels «Bolero» die Bühne. Sie verteilt Luftküsse, trägt die Farben der Grande Nation: dunkelblauer Anzug, rote Bluse, am Revers die blaue Rose, ihr Logo.

«Es ist nicht selbstverständlich, dass ihr hier seid nach dem, was gestern passiert ist», sagt sie und meint damit den vereitelten Anschlag. Statt den Vorfall auszuschlachten, hält sie am vorbereiteten Skript fest. Sie wirkt müde, die Gesten sind einstudiert, manch rhetorische Spitze verpufft. Am wohlsten fühlt sie sich, wenn sie über die anderen Kandidaten herzieht. «Keine Kandidatur wird irgendetwas ändern oder bewegen – ausser meine!»

Arbeit, Identität, Wohlstand, Sicherheit, Islamisten, Terrorismus und immer wieder Vaterland, Nation, Heimat. Aus diesen Worten ist Le Pens Wahlkampfrede gemacht. Die gut 6000 Anwesenden quittieren sie mit Sprechgesängen: «On est chez nous – Wir sind hier zu Hause».

Während der 90-minütigen Rede nicken einige ein, viele schwingen treu die Fahne. Zum Schluss singen alle die Marseillaise, die Nationalhymne. Le Pen winkt in die Menge, lacht zum ersten Mal gelöst: «Bis am Sonntag.» Und im Hintergrund auf der Leinwand: «Wir sehen uns im zweiten Wahlgang wieder!»

«On est chez nous», singen die Fans von Le Pen, «wir sind hier zu Hause.»
Foto: Gregoire BERNARDI
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