So vergnügt sich die britische Oberschicht
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Reporter besucht Polo-Turnier:So vergnügt sich die britische Oberschicht

Vielen Briten droht der Hunger – so reagieren die Reichen auf die Energiekrise
«Wir heizen den Pool erst im Oktober»

Grossbritannien steht vor einer gigantischen Krise: 14 Millionen Briten könnten in die Armut abrutschen. Die britische Oberschicht aber lässt sich vom drohenden Drama im Königreich nicht beirren.
Publiziert: 06.09.2022 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2022 um 13:39 Uhr
Samuel Schumacher

Regen, mitten im Polo-Spiel der Noon Giraffes gegen das Team von Mount Loftus im mondänen südenglischen Cirencester Park Polo Club. Ärgerlich. Aber England halt. Die Pferde galoppieren vom Spielfeld, die edel gewandeten Damen und Herren trippeln vom Zuschauerrang rüber in die Ivy Lodge, das Clubhaus. Und Allen Bathurst (61) steuert mit seinem Weinglas auf die regengeschützte Terrasse zu: «Darf ich?», fragt er und zeigt auf den Stuhl neben dem Blick-Reporter. «Sicher, der Stuhl gehört mir nicht.» – «Ich weiss. Der gehört mir!», sagt Bathurst und setzt sich.

Allen Bathurst – ganz offiziell Earl Allen Bathurst, 9. Graf von Bathurst und 8. Graf von Apsley – sieht mit seiner zerzausten Frisur, seinem karierten Hemd und der funkelnd gelben Krawatte zwar nicht so aus, wie man sich den britischen Hochadel vorstellt. Doch der Besitzer des Poloclubs in Cirencester, dem ältesten Spielfeld Grossbritanniens, ist blaublütig durch und durch.

Der riesige Park, auf dem unter anderem die Themse entspringt, diente in den beiden Weltkriegen als Militärcamp. Bathurst’s guter Freund Prinz Charles schaut ab und zu vorbei.

David Bond, Earl Allen Bathurst, Tessa Hardy und James Jones (von links) machen sich vorerst keine Sorgen wegen der drohenden Energiekrise.
Foto: Samuel Schumacher
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Sorge um nahende Energiekrise: klein

Graf Bathurst ist einer jener schwerreichen Briten, die die aktuelle Krise im Land eigentlich mit einem müden Lächeln hinnehmen könnten. Alleine die Kunstsammlung in seinem Anwesen mit knapp 100 Zimmern hat einen Wert von mehr als 50 Millionen Franken. «Und mit all dem Holz hier komme ich durch jeden Winter», sagt der Graf und schaut auf die Eichen draussen im Regen.

Und doch: Die steigenden Gaspreise und die explodierenden Energiekosten im Land – Grossbritannien produziert mehr als 40 Prozent seines Stroms mit importiertem Gas – sind auch hier im Poloclub ein Gesprächsthema. Die Krise treffe alle, sagt David Bond, der sich mit seiner Partnerin Tessa Hardy zu Graf Bathurst und dem Reporter gesellt hat. Jeder müsse irgendwie reagieren: «Wir zum Beispiel heizen unseren Pool dieses Jahr erst ab Oktober.»

Dann erzählt David Bond von seinem Onkel und dessen Freund Ian Fleming, dem Autor der James-Bond-Bücher. «Meine Familie hat Fleming die Vorlage für die Bond-Storys geliefert», sagt er stolz. Die Autonummer auf seinem Aston Martin: 007. Die Sorge um die nahende Energiekrise: klein – bis, eben, auf den unbeheizten Pool.

«Viele Menschen werden sterben»

Die Krise trifft Grossbritannien hart: Kaum ein Land importiert mehr Gas – und kaum ein Sozialsystem ist derart überlastet. Bis Ende 2023 drohen 14 der 67 Millionen Briten in die Armut abzurutschen. Rund zwei Drittel aller Inselbewohner werden im Winter grösste Mühe haben, die Heizkosten zu bezahlen. «Viele Menschen werden sterben», sagte Torsten Bell, Chef der britischen Denkfabrik Resolution Foundation.

Gleichzeitig wird die Schere zwischen Arm und Reich im Königreich immer grösser: 177 Milliardäre gibt es inzwischen auf der Insel. Die reichsten zehn Prozent des Landes besitzen knapp die Hälfte des Vermögens, während mehrere Millionen Menschen inzwischen auf das Gratis-Essen von den 1400 offiziellen Foodbanks im Land angewiesen sind, um über die Runden zu kommen. In Westeuropa ist die Lücke zwischen Arm und Reich nur in Italien und Luxemburg grösser.

Vielen britischen Pubs droht das Aus

Weder Luxemburg noch Italien aber haben mit so kalt-nassem Winterwetter zu kämpfen. Und weder Luxemburg noch Italien haben eine Regierungschefin, die im Wahlkampf ausgeschlossen hat, den staatlichen Zustupf an die Notleidenden zu erhöhen oder die Energie im Winter gegebenenfalls zu rationieren, damit es für alle reicht.

Besonders hart treffen könnte es in der kalten Jahreszeit die britischen Verkaufsläden und Restaurants. Den staatlich festgelegten Maximalpreis, den eine Strom- und Heizrechnung für einen privaten Haushalt nicht überschreiten darf, gibts für Unternehmen nicht. Viele der rund 47'000 Pubs im Land stehen deswegen vor einem möglichen Bankrott, schreibt der britische «Guardian».

Auch das aber macht Earl Allen Bathurst, dem 9. Grafen von Bathurst und 8. Grafen von Apsley, nicht allzu viele Sorgen. Seine Ivy Lodge ist schliesslich privates Eigentum, Zutritt nur für Club-Mitglieder. Und sonst wären da zur Not ja immer noch die Bäume.

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