Biografin Catherine Belton erkärt den russischen Machthaber mit seiner KGB-Vergangenheit
«Putin steht gerne spät auf»

Die britische Journalistin Catherine Belton (47) zeichnet in ihrem Buch den Aufstieg Putins vom Agenten zum Präsidenten nach. Im Interview erklärt sie, wie der KGB durch ihn zurück an die Macht kam, welche Rolle die Schweiz spielte – und wieso nun Krieg in Europa droht.
Publiziert: 07.02.2022 um 13:23 Uhr
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Aktualisiert: 07.02.2022 um 13:28 Uhr
  • Was war Putins Aufgabe als KGB-Agent?
  • Welche Rolle spielte der ehemalige sowjetische Geheimdienst bei seinem Aufstieg?
  • Und ist Putin wirklich bereit, einen Krieg zu beginnen?
Benno Tuchschmid

Europa steht am Rande eines Krieges. Alles hängt von einem Mann ab: Wladimir Wladimirowitsch Putin (69). Doch wie wurde ein ehemaliger KGB-Agent ein so mächtiger Politiker? Niemand kann dies besser beantworten als die britische Journalistin Catherine Belton. Ihr preisgekröntes Buch über den Aufstieg Wladimir Putins erscheint heute auf Deutsch.

Wer ist Wladimir Putin?
Catherine Belton: Eine komplexe Person mit vielen Facetten. Er ist ein wenig faul, steht gerne spät auf, mag Frauen – und die Vorzüge seines Amtes. Auf der anderen Seite ist er leicht reizbar und hegt einen tief empfundenen Groll über den Bedeutungsverlust Russlands nach dem Untergang der Sowjetunion. Das alles prägt sein Handeln.

Putins erster Posten als KGB-Agent war Dresden in der damaligen DDR. Was war seine Aufgabe dort?
Er war Verbindungsoffizier zwischen dem KGB und der Stasi und hielt Kontakt mit hochrangigen Partei- und Geheimdienstkadern der DDR. Es gibt einen Stasi-Überläufer, gemäss dem Putin in wichtige Operationen gegen den Westen involviert war.

Die britische Journalistin Catherine Belton (47) beschreibt in ihrem Buch «Putins Netz» Wladimir Putins Weg an die Macht.
Foto: zvg
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Sie schreiben in Ihrem Buch sogar, Putin habe Kontakt zur linksextremen deutschen Terrororganisation RAF gehalten.
Ich traf einen ehemaligen Wegbegleiter, der beschrieb, wie Mitglieder der RAF nach Dresden reisten, um sich mit Putin und seinen KGB-Kollegen zu treffen. Die Terroristen kriegten von ihnen zwar keine direkten Befehle, aber sicherlich «Empfehlungen» für mögliche Ziele – und Hilfe bei der Waffenbeschaffung.

Was war Ende der 80er-Jahre die Hauptaufgabe des KGB?
Devisenbeschaffung. Im Zuge der Öffnungspolitik, genannt Perestroika, begann der KGB in den 80er-Jahren im Westen ein riesiges Netzwerk aus Tarnfirmen zu gründen. Auch Dresden war ein Knotenpunkt für dieses System. Es war kein Zufall, dass die Auslandsabteilung des KGB beim Aufbau dieses Systems eine entscheidende Rolle spielte: Dessen Agenten lebten im Westen und sahen, dass die Planwirtschaft mit der kapitalistischen Marktwirtschaft nicht Schritt halten konnte.

Die Putin-Kennerin

Catherine Belton arbeitete von 2007 bis 2013 für die «Financial Times» als Moskau-Korrespondentin. Heute arbeitet sie als Investigativjournalistin für die Nachrichtenagentur Reuters in London. Ihr 2020 auf Englisch erschienenes Buch «Putins Netz» wurde u. a. von «The Economist» zum Buch des Jahres gekürt.

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Catherine Belton arbeitete von 2007 bis 2013 für die «Financial Times» als Moskau-Korrespondentin. Heute arbeitet sie als Investigativjournalistin für die Nachrichtenagentur Reuters in London. Ihr 2020 auf Englisch erschienenes Buch «Putins Netz» wurde u. a. von «The Economist» zum Buch des Jahres gekürt.

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Wie funktionierte das Firmennetzwerk?
Die Tarnfirmen schleusten günstige Rohstoffe, wie Öl, Gas oder Dünger, aus der Sowjetunion in den Westen, um diese dort zu Weltmarktpreisen zu verkaufen. Die Gewinne waren gigantisch. Im Gegenzug importierte die Sowjetunion illegal Hightechgüter aus dem Westen, die von Handelsembargos belegt waren – oder finanzierte über schwarze Konten Geheimdienstaktionen zur Destabilisierung des Westens.

Die Sowjetunion brach trotzdem zusammen.
Genau, aber die Firmennetzwerke des KGB blieben bestehen, nur änderte sich deren Zweck. KGB-Männer nutzten es nun, um das Milliardenvermögen der Kommunistischen Partei abzusaugen, das fast komplett im Ausland verschwand.

Welche Rolle spielt die Schweiz dabei?
Ein hochrangiges ehemaliges KGB-Mitglied hat mir einmal gesagt: Die Schweiz sei wie ein Restaurant zwischen Chinatown und Little Italy, wo sich die Mafiabosse gemütlich treffen können. Banker erzählten mir, wie KGB-Agenten früher kofferweise Bargeld in die Schweiz brachten.

Doch die KGB-Seilschaft suchte auch politisch die Macht. In Sankt Petersburg wurde Putin 1992 zum stellvertretenden Bürgermeister ernannt. Was war seine Aufgabe?
Er versuchte, die Geldflüsse der Stadt unter Kontrolle zu bringen, um sich und seinen Kameraden des KGB das Überleben zu sichern. Er vergab zum Beispiel Importlizenzen im Wert Hunderter Millionen von Dollar an seine Verbündeten für dringend benötigte Nahrungsmittel in der Stadt – die dann nie in Sankt Petersburg ankamen. Putin lernte ausserdem sehr schnell, dass es sich nicht lohnt, gegen das organisierte Verbrechen anzukämpfen, das damals grosse Teile der Stadt beherrschte.

Was heisst das?
Es kam damals zu gewaltsamen Verteilkämpfen um die Pfründe der Stadt – unter anderem um den Petersburger Hafen. Putin wurde bedroht und musste eines Tages sogar seine Töchter in Deutschland in Sicherheit bringen. Aber er löste die Situation, indem er sich mit der Tambow-Bande, dem lokalen Ableger der russischen Mafia, zusammenschloss. Gemeinsam kontrollierten sie danach den gesamten Ölhandel der Stadt.

Gehörte Gewalt von Anfang an zu Putins Werkzeugkasten?
Es gibt keine Beweise, dass Putin direkt in Gewalttaten involviert war. Aber in der Stadt gab es viele Morde – für die unter anderem die Tambow-Bande verantwortlich war. Putin hatte enge Verbindung zu ihr. Gemäss spanischen Ermittlungsbehörden existieren bis heute Kontakte zu Putins Umfeld.

Ende der 90er-Jahre schafft Putin den Aufstieg nach Moskau. 1999 wird er Premierminister und danach 2000 zum Präsidenten gewählt. Wieso gerade er?
Putin war jener Repräsentant der KGB-Seilschaft, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Der damalige Präsident Jelzin und sein Umfeld glaubten, in Putin einen loyalen Mann mit liberalen Positionen einsetzen zu können, der ihr Erbe bewahren würde. Sie sahen in ihm, was sie in ihm sehen wollten. Aber Putin ist ein Chamäleon.

Was waren seine wahren Absichten?
Ich bin nicht sicher, ob er und das KGB-Netzwerk, das ihn an die Macht schleuste, wirklich einen politischen Plan hatten, was sie mit der Macht anstellen wollten – ausser sich selber zu schützen.

Wie würden Sie die Reaktion des Westens auf Putins Aufstieg beschreiben?
Als naiv. Es gab leider einen kollektiven Gedächtnisverlust gegenüber dem Wesen des KGB. Man glaubte, dass es für Russland keine Alternative zur Integration ins westliche System gab. Und empfing gleichzeitig das geraubte Geld der Oligarchen mit offenen Armen. Damit öffneten wir die Türen für Putins Einfluss, denn wer heute in Russland Geld macht, muss sich dem Befehl Putins unterordnen.

Der Kreml versucht heute aktiv, Demokratien in Europa und den USA zu unterwandern. Wieso?
Putin und seine KGB-Entourage versuchen, den Westen zu schwächen und Russlands Grösse wiederherzustellen. Aber nicht im wirtschaftlichen Wettbewerb, davon haben sie wenig Ahnung. Sehr viel Ahnung haben sie aber von verdeckten Operationen, Desinformation und im Untergraben von Demokratien. Oder im Handwerk der erpresserischen Diplomatie, wie sie es gerade in der Ukraine-Krise an den Tag legen.

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Ist Putin bereit, einen Krieg zu beginnen?
Er wäre dumm, wenn er es täte. Ich denke, er kennt die Wirkung von toten Soldaten auf die öffentliche Meinung in Russland. Aber die Ex-KGB-Leute sind Meister der Manipulation. Sie könnten der eigenen Bevölkerung mit einem inszenierten Zwischenfall in der Ukraine suggerieren, dass es in Tat und Wahrheit der Westen ist, der Russland angreift.

Wieso liess es Putin zu dieser Konfliktsituation kommen?
Für mich riecht es nach Verzweiflung. Diese Typen sind seit 20 Jahren an der Macht. Putin gehen langsam die Ideen aus. Er braucht einen Grund, um sein Regime zu rechtfertigen. Und die Konfrontation mit dem Westen ist einer.

Was kann der Westen tun, um dies zu verhindern?
Geeint auftreten. Bis jetzt klappt das gar nicht so schlecht. Aber bleibt das so?

Wieso nicht?
Deutschland bezieht 55 Prozent seines Gases aus Russland. Noch stellen die Deutschen in Aussicht, die Pipeline Nord Stream 2 zu sistieren, sollte Russland einmarschieren. Aber was, wenn die Energiepreise weiter steigen? Und wenn die USA im Falle eines Einmarsches, Russland vom internationalen Zahlungssystem abhängt, könnte Putin auf den Euro ausweichen wollen. Findet die EU dann eine geeinte Politik? Die grossen Prüfungen stehen uns noch bevor.

Das Buch

Catherine Belton: «Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste», Harper Collins.

Catherine Belton: «Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste», Harper Collins.

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