Ärger um Panzerlieferungen könnte Putin in die Karten spielen
«Achillesferse der Ukraine ist die westliche Unterstützung»

Der Westen zaudert, wenn es um die Lieferung von Kampfpanzern geht. Die Devise lautet: Direkt geliefert werden nur Waffen zur Verteidigung. ETH-Strategieexperte Marcel Berni erklärt, wie schlagkräftige Kampfpanzer der Ukraine jetzt helfen können.
Publiziert: 16.09.2022 um 21:51 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2023 um 13:56 Uhr
Fabian Babic

Die ukrainischen Truppen konnten mit ihrer erfolgreichen Gegenoffensive jüngst einige besetzte Gebiete zurückerobern. Diese militärische Errungenschaft befeuerte die Debatte um verstärkte Waffenlieferungen westlicher Verbündeter. Eine Kritik, die sich immer öfter an die Regierungen der Nato-Länder richtet: Es müssen mehr offensive Waffensysteme geliefert werden – nicht nur Rüstungsgüter zur Verteidigung. Im Fokus der Diskussion stehen Kampf- und Schützenpanzer.

Für die Ukraine ist klar: Um die russischen Truppen aus dem Land zu vertreiben, braucht es mehr offensive Schlagkraft. Aussenminister Dmytro Kuleba (41) wandte sich zuletzt beim Treffen mit seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock (41) mit klaren Worten an seine diplomatischen Partner: «Je mehr Waffen wir erhalten, desto schneller gewinnen wir.» Trotzdem hat bisher kein Nato-Land beschlossen, Kampfpanzer zu liefern.

Unterscheidung ist scheinheilig

Was könnte ein Paradigmenwechsel in der Waffenlieferungspolitik bewirken? Marcel Berni (34), Strategieexperte an der Militärakademie der ETH Zürich, ordnet ein: «Die Unterscheidung zwischen Defensiv- und Offensivwaffen ist in erster Linie eine politische Unterscheidung. In Wahrheit kann beinahe jede Waffe offensiv eingesetzt werden», sagt Berni gegenüber Blick.

In der Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine werden immer mehr Stimmen laut, die von Nato-Ländern fordern, auch offensive Kampfpanzer an die ukrainischen Truppen zu schicken. Auf dem Bild ist der US-amerikanische Kampfpanzer M1A2 SEP Abrams zu sehen.
Foto: AFP/Getty Images
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Ein Beispiel dafür sei die deutsche Panzerhaubitze 2000, die in der Ukraine eingesetzt wird. Als eines der besten Artilleriesysteme verfüge sie über eine grosse offensive Schlagkraft und sei dabei äusserst präzise. «Die ukrainischen Truppen haben Gebiete erfolgreich zurückerobert und dafür braucht man offensive Waffen», sagt Berni. «In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen Defensiv- und Offensivwaffen etwas scheinheilig.»

Dennoch sei die Kommunikation nicht zu vernachlässigen, wendet Berni ein: «Der Krieg ist auch ein Informationskrieg.» Dementsprechend müssen die Nato-Länder jegliche Waffenlieferungen vor der eigenen Bevölkerung legitimieren können.

Kampfpanzer können helfen – aber nicht sofort

Jetzt, da die ukrainischen Truppen das Momentum auf ihrer Seite haben und weitere Gebiete zurückerobern wollen, stellt sich die Frage nach den westlichen Kampfpanzern. Mit Modellen wie dem deutschen Leopard II oder dem US-amerikanischen Abrams könnten die Chancen bei den Rückeroberungen erheblich steigen, schätzt Strategieexperte Berni: «Die Angriffsformationen wären viel mechanisierter und gepanzerter. Der ukrainische Widerstand wäre viel schlagkräftiger.»

Allerdings könnten sich Selenskis Truppen diese Schlagkraft nicht von null auf hundert zunutze machen. «Solche modernen Panzersysteme brauchen eine gute Ausbildung», wendet Berni ein. «Dementsprechend müssten die ukrainischen Truppen eine längerfristige Strategie aufbauen, um die Kampfpanzer effektiv einzusetzen.»

Die Achillesferse der Ukraine

Direkte Kampfpanzer-Lieferungen gab es bislang nicht. Stattdessen hat man einen sogenannten Ringtausch durchgeführt, erklärt Berni: «Beispielsweise geben die Deutschen moderne Panzer an Länder des ehemaligen Warschauer Paktes. Diese wiederum geben dann ihre alten sowjetischen Panzer den ukrainischen Truppen.»

Damit und mit weiteren Munitions- und Rüstungslieferungen konnte die Ukraine militärische Erfolge erzielen. Diese Abhängigkeit, betont Berni, sei zugleich die Schwachstelle der Ukrainer: «Die Achillesferse der Ukraine ist die westliche Unterstützung.» Für Putin wäre es deshalb ein immenser Erfolg, wenn er Zwietracht zwischen der Ukraine und dem Westen säen könnte, meint der Strategieexperte von der ETH Zürich: «Das wäre eine seiner wenigen Chancen, um die Ukraine wieder in die Defensive zu zwingen.»

Warum niemand die rote Linie übertreten will

Warum aber verzichten die Nato-Länder weiterhin darauf, Kampfpanzer zu liefern? Berni vermutet hinter der Zurückhaltung die Angst um die eigene militärische Überlegenheit. Der Westen gebe seine wirkungsvollsten Waffen nur zögerlich ab, weil sie dann im eigenen Land fehlen würden. Im schlimmsten Fall würden sie in der Ukraine gar in die Hände der Russen fallen, worauf diese die westliche Technologie auf Schwachstellen überprüfen könnten. 

Zudem, so Berni, könne Putin die direkte Lieferung von Kampfpanzern als weitere Eskalationsstufe im Krieg begreifen. «Das wollen die Nato-Länder wohl auch verhindern.»

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