14 Fragen, 14 Antworten
Das sind die Gründe für die EU-Flüchtlingskrise

In Paris kommen einflussreiche europäische Regierungschefs zum Flüchtlings-Krisengipfel zusammen. BLICK erklärt die dringendsten Fragen zum Thema.
Publiziert: 28.08.2017 um 20:13 Uhr
|
Aktualisiert: 28.09.2018 um 16:50 Uhr
Johannes von Dohnanyi

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat für Montagabend zu einem Flüchtlingsgipfel nach Paris geladen. Um was geht es?

Auch wenn die Zahl der «Boat People» übers Mittelmeer zur Zeit wieder fällt: Europa muss einen Weg gegen die Migrationswelle aus Afrika finden. Experten zufolge sind noch immer mindestens eine Million Afrikaner auf dem
Weg ans Mittelmeer. Chancen auf Asyl haben die wenigsten. Macron drängt auf eine gemeinsame Politik.

Wer ist nach Paris eingeladen?

Ausser der deutschen Kanzlerin Merkel kommen die Premierminister Italiens und Spaniens, Paolo Gentiloni und Mariano Rajoi, und die Aussenbeauftragte Federica Mogherini. Aus Afrika werden Vertreter Libyens, des Tschad und aus Niger erwartet. Macron wird auf die Einrichtung weiterer «Hotspots» in Afrika drängen, wo mit Hilfe von EU-Beamten vor Ort entschieden werden soll, wer nach Europa darf und wer nicht. Ziel müsse es sein, hat Merkel schon erklärt, «die illegale Migration Schritt für Schritt zu reduzieren».

Wie viele Flüchtlinge kommen eigentlich in Südeuropa an?

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Genf spricht von etwa 120'000 Menschen, die in den ersten acht Monaten des Jahres gekommen sind. Die meisten von ihnen kamen aus westafrikanischen Staaten wie der Elfenbeinküste, Ghana, Mali, Senegal und Nigeria. Immer wieder werden aber auch Flüchtlinge aus Ägypten und den Kriegsländern Syrien und Irak aufgegriffen.

Gute Laune trotz Krise: Emmanuel Macron empfängt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Foto: Christophe Morin
1/4
Foto: AP

Haben all diese Flüchtlinge Anspruch auf Asyl in Europa?

Nein. Anrecht auf Asyl haben nur Kriegsflüchtlinge und politisch Verfolgte. Die Mehrzahl sind aber Wirtschafts-Migranten, die vor Armut und Elend in ihren Heimatländern fliehen. Eine Umfrage hat dieser Tage übrigens ergeben, dass die meisten von ihnen ursprünglich in Afrika nach einem besseren Leben suchten.

Warum wollen sie dann doch nach Europa?

Es sind die vor allem die in Libyen erlebte Gewalt, willkürliche Hinrichtungen, Vergewaltigung und die skrupellose Ausbeutung, die Flüchtlinge und Migranten in die Arme der Schlepperbanden treiben. «Ich wusste, dass ich bei der Überfahrt sterben könnte», sagte ein vor der Terrorgruppe Boko Haram geflohener Nigerianer nach seiner Rettung. «Aber alles, sogar der Tod war besser als das, was ich zu Hause und in Libyen erlebt habe.»

Warum gerade Libyen?

Seit dem Tod von Machthaber Muammar Gaddafi im Oktober 2011 befindet sich das Land de facto im Bürgerkrieg. Islamistische Gruppen einschliesslich des IS kämpfen gegen eine vom Westen anerkannte Übergangsregierung. Der Zusammenbruch fast aller staatlicher Strukturen befördert kriminelle Aktivitäten wie das Schleppergewerbe.

Wer organisiert die gefährliche Reise über das Mittelmeer?

Seit die Balkanroute versperrt ist, blüht das Schleusergewerbe vor allem in Libyen. Die Überfahrt nach Europa kostet mindestens 1'000 Dollar pro Person. Auch die sizilianische Cosa Nostra soll kräftig an dieser modernen Form des Menschenhandels mitverdienen. Und erst dieser Tage erzählte ein tunesischer Polizeioffizier im deutschen ZDF, dass er für seine Informationen an die Schleuser wöchentlich mehrere tausend Dollar einsackt.

Die libysche Küstenwache hält Ausschau nach Flüchtlingsbooten.
Foto: Reuters

Auf einmal sinken die Flüchtlingszahlen. Warum?

Es stimmt: Seit Juni ist die Zahl der afrikanischen «Boat People» von 23'300 auf nur noch 11'500 gesunken. Das schlechte Wetter spielte sicher eine Rolle. Der verstärkte Einsatz der europäischen Grenzschutz-Truppen «Frontex» wohl auch. Vor allem aber an der «Quelle» in Libyen tut sich einiges. Aus der Stadt Sabratha, von wo aus die meisten Schlepperboote starteten, werden schwere Kämpfe gemeldet. Eine mysteriöse «Brigade 48» soll gegen die Schleuser vorgehen.

Was ist diese «Brigade 48»?

Angeblich werden ehemalige libysche Militärs und Polizisten von einem sizilianischen Mafioso angeführt, der früher selbst Schlepper war. Berichte aus Sabratha sprechen von schweren Kriegsverbrechen und Verstössen gegen die Menschenrechte. Wie sich die Einheit finanziert, ist unklar. Sollten sie aber, wie von einigen behauptet, Geld von der von EU-mitfinanzierten
Übergangsregierung erhalten, wäre dies ein Skandal.

Trotzdem fliehen noch immer Menschen. Wer rettet die?

Allein in diesem Jahr sind schon mehr als 2'500 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Aber seit dem Frühsommer gehen Italiens Justiz und Regierung gegen private Hilfsorganisationen (NGOs) vor, die sich um die Rettung Schiffbrüchiger kümmern. Die libysche Übergangsregierung hat ein grosses Gebiet vor der Küste als Einsatzzone einer eigenen «Such- und
Rettungs-Operation» deklariert, aus der die NGO’s - auch unter Androhung von Waffengewalt - vertrieben wurden. Das Sterben im Mittelmeer geht weiter.

Was ist von der römischen Politik zu halten?

Bei aller berechtigten Kritik an der italienischen Flüchtlingspolitik - diesmal hatte Rom Recht. Auf der Grundlage des «Dublin II»-Abkommens der EU ist das Land, in dem die Flüchtlinge ankommen, für deren Unterbringung und Versorgung zuständig. Angesichts der neuen Flüchtlingswelle fühlten die Italiener sich alleine gelassen. Italien fühlte sich im Stich gelassen.

Foto: imago/Independent Photo Agency

Was tut Europa gegen diese Migrationswelle?

Natürlich haben die Europäer erkannt, dass die wirtschaftliche Misere in weiten Teilen Afrikas zur Massenflucht führt. Deshalb hat etwa der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller einen «Marshall-Plan» für Afrika vorgeschlagen. Aber Brüssel und die EU-Regierungen diskutieren und streiten. Politisch bewegen tut sich da (fast) nichts.

Und das wars von europäischer Seite?

Statt dessen wehren sich Europa und die EU bisher vor allem mit polizeilichen und militärischen Mitteln. Im Transitland Mali helfen die Truppen von «Operation Sophia» nicht nur bei der Bekämpfung islamistischer Terroristen. Sie bilden Polizei und Militärs in der Sicherung der Grenzen aus, um Migranten so früh und so tief wie möglich in Afrika selbst abzufangen. Im
Mittelmeer kreuzen die Verbände der Grenzschützer von «Frontex» und der Militäroperation «Triton». Die libysche Küstenwache wird von der EU ausgerüstet und ausgebildet, um Schleuserboote frühzeitig abzufangen und die Flüchtlinge und Migranten in Gefangenenlager in Libyen zu bringen.

Was sagen die humanitären Organisationen?

Sie halten die europäische Politik für einen Skandal. Auch ihnen ist klar, dass nicht alle Migranten nach Europa kommen können. Aber das Geld, das für die Militäreinsätze vorhanden ist, wäre besser investiert in den Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft in den Herkunftsländern. Ganz allgemein merken auch die Vereinten Nationen an: Niemand will ein Flüchtling sein. Niemand flieht aus einem Land, in dem Rechtssicherheit, Chancen auf Bildung und wirtschaftlichen Aufstieg gegeben sind.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?